Drei der vier an der Operation beteiligten Oberärzte (v.r.n.l.) : Johannes Rois, Friedrich Russe, Helmut Matuschka. Nicht abgebildet ist der vierte beteiligte Chrirurg Wolfgang Schaden.

Foto: Privat

Im UKH Meidling wurde, wie berichtet, der am Oberarm abgetrennte Arm eines ÖBB-Mitarbeiters komplikationslos angenäht. Verantwortlich für den Eingriff war Oberarzt Johannes Rois. Im derStandard.at-Interview beschreibt der Spezialist für Hand- und Mikrochirurgie den Ablauf dieser äußerst ungewöhnlichen Operation.

derStandard.at: Haben Sie schon einmal eine ähnliche Operation durchgeführt?

Johannes Rois: Nein, denn diese Art einer Amputationsverletzung und die dafür nötige Replantation sind sehr selten. Aber der allgemeine Ablauf einer solchen Operation ist mir klar. Nur ist der Unterschied zwischen einem abgetrennten Finger und einem Oberarm das Zeitfenster. Bei letzterem sollte die Gliedmaße innerhalb von vier bis sechs Stunden wieder angenäht sein. Bei einem Finger ist der Spielraum größer.

derStandard.at: Wo liegen die besonderen Gefahren bei einem solchen Eingriff?

Rois: Das Problem ist, dass am Amputat, also an der abgetrennten Gliedmaße, die Muskeln von der Durchblutung und vom Stoffwechsel ausgeschlossen sind. Dadurch entstehen im Amputat „giftige Stoffe", die nach der Replantation in den Körper geschwemmt werden und Nieren oder Lungen sehr stark belasten können.

derStandard.at: Wie kann man sich den Ablauf einer derartigen Operation vorstellen?

Rois: Wir haben anfangs in zwei Teams zu je zwei Chirurgen gearbeitet. Ein Team war für das Amputat zuständig, das andere für jene Körperstelle, an welcher die Gliedmaße abgetrennt wurde. Nachdem die Vorbereitungen für die Replantation abgeschlossen waren, haben wir als Erstes den Knochen stabilisiert. Danach haben wir die Arterie und dann die Venen zusammengenäht- das ist die kritischste Phase, weil durch den Blutabtransport eben die besagten „giftigen Stoffe" in den Körper gelangen. Um das zu vermeiden, haben wir gleich mit einer Blutwäsche mithilfe einer künstlichen Niere begonnen. Daraufhin wurden die Nerven und dann die Muskulatur und die Sehen genäht. Die Haut wurde nicht ganz geschlossen, weil durch die Operation eine Schwellung entstehen kann.

derStandard.at: Hätte der Eingriff auch in einem anderen Krankenhaus stattfinden können? 

Rois: Im AKH wäre das sicher auch gegangen, aber dort konnten sie den Patienten nicht nehmen, weil sie keine Kapazität hatten. Im SMZ Ost wohl auch.

derStandard.at: Wie lange hat die Operation gedauert und wie behält man die Konzentration über den gesamten Verlauf?

Rois: Ungefähr sieben Stunden. Aber an die Zeit oder an das Nichtschaffen denkt man gar nicht. Das ist ein innerlicher Adrenalinschub. Außerdem ist es sehr vorteilhaft, wenn man mit einem zweiten Chirurgen zusammenarbeitet, der ebenfalls die Operation durchführen könnte. Wichtig ist auch, dass das gesamte Team aus Krankenschwestern, OP-Gehilfen und Anästhesisten eingespielt ist. Da wird nicht nachgefragt: „Brauchen´s das oder das?" Und ein bissal annähen geht nicht - da gibt es nur Hopp oder Dropp.

derStandard.at: War das der längste Eingriff in Ihrer Laufbahn?

Rois: Nein, im Februar 2009 habe ich einmal 24 Stunden durchgehend operiert. Das war ein schwerer Kreissägenunfall, bei dem mehrere Finger abgetrennt worden waren. Aber auch in so einem Fall gilt, dass die Müdigkeit immer erst danach kommt.

derStandard.at: Wird der Patient wieder die volle Funktionstüchtigkeit seines Arms erlangen?

Rois: Dass es ganz so wird wie früher, ist eher unwahrscheinlich. Das ist ja nicht so, wie wenn man einen Gartenschlauch zusammensteckt und dann rinnt das Wasser wieder, ohne zu tropfen. Vor allem das Nervengewebe braucht viel Zeit. Etwa drei Wochen nach der Operation beginnen die Nerven an jener Stelle, wo die Gliedmaße abgetrennt wurde, wieder neu zu sprießen. Und ein Nerv wächst rund einen Millimeter am Tag. Da die Abtrennung in der Mitte des Oberarms war, also knapp 50 Zentimeter von den Fingerspitzen entfernt, wird es mindestens ein Jahr dauern, bis das Gefühl in den Finger zurück ist.

derStandard.at: Wie geht es dem Patienten jetzt?

Rois: Er liegt noch auf der Intensivstation, ist aber bereits ansprechbar. Außerdem haben wir bereits mit der Physiotherapie begonnen: Die Finger werden von einer Therapeutin passiv bewegt. Es werden auch sicher noch Folgeeingriffe nötig sein.

derStandard.at: Welche Komplikationen können noch auftreten?

Rois: Eine große Gefahr besteht in der Bildung eines Blutgerinnsels. Auch bei der Wundheilung muss genau aufgepasst werden. Immerhin war die Wunde beim Unfall eine Zeit dem „natürlichen" Einfluss ausgesetzt, wodurch Bakterien o.ä. hineingelangt sein könnten. (Martin Obermayr, derStandard.at, 13.8.2010)