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Angewandte Forschung und Grundlagenforschung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Letztere hat ihre Berechtigung, als Bildungsgut - und wirtschaftlich. Man muss nur in größeren Zeiträumen denken lernen.

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In den letzten Monaten ist eine heftige Diskussion über den Stellenwert der Grundlagenforschung in Relation zur angewandten Forschung aufgeflammt. Eingeleitet wurde sie vom Präsidenten der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, der meinte, dass sich Österreich die Grundlagenforschung überhaupt ersparen könnte.

Demgegenüber hat der Innovationsökonom Andreas Schibany (Joanneum Research) nachgewiesen, dass die Forschungsförderung im Unternehmenssektor durch die öffentliche Hand in den letzten Jahren um ein Vielfaches stärker gewachsen ist als diejenige im Hochschulsektor. Im internationalen Vergleich sei insbesondere die indirekte, also steuerliche Förderung wegen der Mitnahmeeffekte unzureichend wirkungsvoll und daher fragwürdig. Beide Meinungsäußerungen haben eine Vielzahl an Reaktionen ausgelöst. Hintergrund für diesen Schlagabtausch war die bevorstehende Schlussphase der Formulierung einer FTI-Strategie der Bundesregierung.

Über die Intensität der Diskussion scheinen nun selbst jene Kreise erschrocken zu sein, die sie losgetreten haben. Man rudert zurück und gibt die Devise aus, dass Grundlagenforschung nicht gegen angewandte Forschung ausgespielt werden dürfe. Im Übrigen sei die Unterscheidung willkürlich und nicht mehr zeitgemäß, weil heutzutage der Übergang der beiden Forschungsarten fließend sei. Schluss der Debatte.

Halt, so einfach sollte man die Diskussion nicht abdrehen! Das Ausrufen des Friedens zwecks Aufrechterhaltung einer dominanten Position ist immer ein subtiles Instrument des Machterhalts.

Ja, es ist richtig: Der Übergang von Grundlagenforschung zu angewandter Forschung ist fließend und wird durch gezielte Förderungsinstrumente unterstützt. Und dennoch wehre ich mich dagegen, deshalb auf die begriffliche Unterscheidung zu verzichten. Mit dem Wegargumentieren des Begriffs der "Grundlagenforschung" läuft man Gefahr, auf einen wesentlichen Anspruch zu verzichten: auf das Streben nach Erkenntnisgewinn ohne Anwendungsperspektive und wirtschaftliche Rechtfertigung.

Im Englischen gibt es den schönen Begriff "curiosity-driven" bzw. "blue sky research". Nur wer sich den "Luxus" des Forschens aus Neugierde erhält, wird mit intellektuellen Durchbrüchen belohnt, auf die - oft Jahrzehnte später - innovatorische und industrielle Durchbrüche folgen. Nie hätten Einstein und seine Zeitgenossen ahnen können, dass die Relativitätstheorie Grundlage für die heute verbreiteten Navigationsgeräte werden würde. Bei rein anwendungsorientierter Forschung ist die Chance, unvermutete - aber dafür umso weitreichendere - Zufallserkenntnisse zu erlangen, wesentlich geringer.

Wer den Kürzeren zieht

Auf den ersten Blick kostet dieser "Luxus" viel Geld, Steuergeld. Abgesehen vom - keineswegs zu verachtenden und kurzfristig wirksamen - Ausbildungseffekt kann die "Rendite" der Grundlagenforschung erst in der nächsten oder gar erst in der übernächsten Generation lukriert werden. Noch stärker als bei der Pensionsversicherung ist Grundlagenforschung nur im Sinne eines Generationenvertrags finanzierbar.

Aber in unseren auf wenige Jahre ausgerichteten Regierungssystemen ziehen gesellschaftliche Ansprüche mit Langzeitwirkung immer den Kürzeren. "Arbeitsplatzsicherung durch Innovation" oder "antizyklische Konjunkturprogramme" sind politisch ungleich besser verkaufbar als "Freiheit der Forschung", "Erkenntnisgewinn" und "Neugierde"! Grundlagenforschung hat die denkbar schlechteren Karten bei der kurzfristigen Investitionsrechnung. Aber genau deshalb finde ich es ärgerlich, wenn man nun eine hilfreiche Grundsatzdiskussion wieder abzudrehen versucht.

Gerade weil die Grundlagenforschung ein Minderheitenprogramm ist, braucht es den öffentlichen Disput:

Ist es vertretbar, dass man für das System der indirekten Forschungsförderung (Steuergutschriften mit de facto keiner Qualitätsprüfung) bereit ist, jährlich ca. 350 Mio. € an Steuergeld in die Hand zu nehmen, dass aber der mit extrem selektiver Qualitätsprüfung fördernde Wissenschaftsfonds mit weniger als der Hälfte auskommen muss?

Ist es vertretbar, dass nach den Plänen der Industriellenvereinigung (der sich bemerkenswerterweise der Bundeskanzler angeschlossen hat) das Gießkannensystem der Forschungsprämie um 50 Prozent ausgeweitet werden soll, während die direkte/qualitätsgeprüfte Forschungsförderung gleichzeitig um 20 Prozent gekürzt wird? Ist es vertretbar, dass die Universitätenfinanzierung bis zum Jahr 2015 eingefroren wird, während man zugleich milliardenschwere Löcher in Berge bohrt, Hacklerregelungen verlängert und sich den Luxus von zehn gesetzgebenden Körperschaften leistet?

Die Liste solcher Fragen könnte seitenweise fortgesetzt werden.

Grundlagenforschung und angewandte Forschung sind untrennbar miteinander verbunden, erfordern vielfach gleichartige Kompetenz und Methoden und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Aber eine FTI-Strategie der Bundesregierung, in der nicht explizit und in Euro pro Jahr die Wertigkeit der Grundlagenforschung festgeschrieben steht, wäre das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist. Es wäre hoch an der Zeit, vonseiten der Bundesregierung transparente, nachvollziehbare und konkrete Zusagen für die Entwicklung der österreichischen Forschungspolitik auf den Tisch zu legen. (Gerhard Kratky, DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2010)