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Von Anbeginn an zwielichtig: Ingolf Müller-Beck als Kreon in der beeindruckenden Lichtinstallation von Katrin Brack.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg - Trotz etlicher Striche braucht Peter Stein drei Stunden, bis Ödipus, mit seiner Tochter Antigone auf Kolonos angekommen, Erlösung findet. Angela Richter hingegen kommt mit 30 Minuten aus. Zudem hat sie, entgegen der Angabe im Programmheft, auf die Pause verzichtet: Als dritter Beitrag zum Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen im Republic wird die gesamte Theben-Trilogie von Sophokles in zweieinhalb hochpolitischen, packenden Stunden abgehandelt.

Denn Angela Richter brachte, auf Vorschlag von Schauspielchef Thomas Oberender, ein äußerst präzis und lakonisch formuliertes Destillat zur deutschsprachigen Erstaufführung: Der norwegische Autor Jon Fosse hat alles schmückende Beiwerk, alle Götteranrufungen und lähmenden Wiederholungen gestrichen. Tod in Theben ist keine Neuübersetzung, wie Steins Ödipus auf Kolonos, sondern eine zeitgemäße Neudichtung, auch wenn Fosse eine an Sophokles angelehnte archaisch klingende Sprache (aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel) verwendet und auch den Hexameter beibehält.

Die Reduktion auf das Wesentliche und das Spannen des dramaturgischen Bogens - im Zentrum steht nicht so sehr Ödipus, sondern sein Schwager/Onkel und Widersacher Kreon - setzt Angela Richter mit radikaler Konsequenz um. Die Bühne ließ sie sich erneut von Katrin Brack gestalten: Wie bei Maxim Billers Der Fall Esra hängen vom Schnürboden in mehreren Reihen Kabel mit Glühbirnen herab - aber in einer beeindruckenden wie sinnfälligen "expanded version": Die Lämpchen, gut 1000 an der Zahl, leuchten nicht nur gelb (und simulieren so das All), sondern auch bunt. In diesem immerzu sanft aufflackernden Lichterwirrwarr kann sich der Mensch zwar auflehnen gegen die Götterwelt, sein Scheitern ist aber vorhersehbar.

Und Teiresias, der Seher, sieht alles. König Ödipus muss erst Licht ins Dunkel um den Mord an seinem Vorgänger Laios bringen. Als kein Zweifel mehr besteht, dass er - unwissentlich - seinen Vater getötet und in der Folge mit seiner Mutter vier Kinder gezeugt hat, sticht er sich die Augen aus: Den zweiten Teil, auf Kolonos, lässt Angela Richter in absoluter Dunkelheit spielen - begleitet von bedrohlichen Gitarrenklängen, die Dirk von Lowtzow (Tocotronic) beigesteuert hat.

Politisches Schachspiel

Erst nach Ödipus' Verschwinden erstrahlt Bracks Bühneninstallation wieder: Endlich ist Kreon, der seinem Schwager/Neffen hatte Platz machen müssen, an der Macht. Er peitscht, aus Überzeugung, "blind" sein politisches Programm durch. Bis ihm - zu spät - die Augen geöffnet werden. Auch er will dann, verzweifelt, nicht mehr das Licht des Tages sehen.

Angela Richter leugnet die Herkunft des Dramas nicht: Kostümbildnerin Steffi Bruhn kombiniert Gegenwartskleidung mit wallenden weißen Gewändern; die gestrickten Masken von Brigitta Pöcksteiner verdeutlichen, dass jede Figur ein Prinzip verkörpert. Und wie beim Schachspiel kippen alle nacheinander um. Yuri Englert ist als Ödipus vor allem fassungslos, Ingolf Müller-Beck als Kreon schon von Beginn an subtil zwielichtig. Eva Löbau imponiert als unerschrockene Antigone - und Christoph Theußl, hörbar ein Österreicher, ist als Einmannchor ein wunderbarer Kommentator. Wären die Patzer der Schauspieler nicht gewesen: Die Premiere wäre ein voller Erfolg gewesen. (Thomas Trenkler/ DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2010)