Jahr für Jahr wurde von der Gemeinde aber auch von außenstehenden Branchenbeobachtern der Siegeszug des freien Betriebsystems Linux beschworen. Doch so viele gute Gründe es für die Nutzung eines offenen und kostenlosen Systems gibt, Microsofts Monopol mit Windows konnte selbst in schwierigen Zeiten (Vista) nicht gestürzt - ja kaum angekratzt werden. Zu sehr sind Privatanwender und Unternehmen auf das Windows-Ökosystem eingespielt.
Die vielfach angekündigte Linux-Revolution konnte jüngsten Aussagen des Leiters der Linux Foundation Jim Zemlin nach dennoch nicht aufgehalten werden. Der Erfolgsweg des freien Codes verlief dabei allerdings ein wenig über Umwege. Erst mit der Etablierung mobiler und neuer Plattformen, die nicht einem Monopol unterstanden, konnte die Basis - ein Nährboden - für ein gesundes Wachstum gesetzt werden. Geht es nach Zemlin, müsse 2010 keiner mehr von Linux überzeugt werden. "The Battle is over - die Schlacht ist vorbei", erklärt er siegessicher im Interview mit Wired.com.
Linux-Maschinen erobern die Welt
Den Grundstein der Linux-Erfolgsgeschichte wurde zwar mit zahlreichen Distributionen für den PC gelegt. Für das explosionsartige Wachstum werden laut Zemlin aber alle anderen Geräte und intelligenten, softwarebasierten Maschinen verantwortlich sein. Zurzeit würden etwa zwei Milliarden Menschen Zugang zum Internet haben. In wenigen Jahren bereits sollen jedoch schon zwei Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein. Von der Stereoanlage, über die Kreditkartenmaschine bis hin zu Sicherheitskameras - so genannte "eingebettete Systeme" würden künftig neben mobilen Geräten, Speicherzentren und Supercomputern massiv auf Linux setzen. "Niemand muss (mehr) überzeugt werden", so Zemlin. Der Evangelisierungstenor habe sich gewandelt. "Es heißt nicht mehr 'Hey, du solltest umsteigen', sondern 'hier ist genau das, was du tun musst, wenn du es richtig machen möchtest".
Stolpersteine und Verbesserungspotenzial
Teilweise werde der Wandel also unsichtbar von der Öffentlichkeit vollzogen, andererseits findet Linux auch zunehmend bei Privatkunden in Form von Mobile-Betriebssystemen wie Android und MeeGo Anklang. Am Mobilfunkmarkt erfreut sich Googles Plattform größter Beliebtheit und läuft etablierten Systemen wie Windows Mobile den Rang ab. Ein Trend, den nach langer Zeit des Ignorierens auch Handy-Primus Nokia erkannt hat und zumindest bei auserwählten Premium-Produkten nun auf das Linux-System Meamo bzw. dessen Nachfolger MeeGo anstelle des angestaubten Symbian-Systems setzt.
Dass die Linux-Adaption im Mobilfunkbereich nicht noch schneller vorangehe, läge laut Zemlin vor allem an rechtlichen Problemen. Das Know-How bei Hardwareherstellern bezüglich des Linux-Lizenzierungsprozesses sei nur mangelhaft ausgeprägt. Zurzeit würde zu viel Geld und Zeit in rechtliche Vorgänge investiert. Dabei würde die Linux Foundation laut Zemlin genau dieses Wissen bereitstellen können. "Wir haben Leute, die diesen Unternehmen in zwei Tagen beibringen können, wofür sie allein ein Jahr brauchen würden", so Zemlin.
HTML5 und AppStore
Ein wichtiger Faktor für das Wachstum von Android sei der Ausbau des Marktplatzes für mobile Anwendungen. Hier läge Apples iPhone mit rund vier Mal so vielen Apps zwar noch klar voran. Zemlin glaubt aber nicht, dass dies in Zukunft noch ein großes Thema sein werde. Wenn man sich die "wichtigen" und "populären" Apps ansehe, dann fände man diese zumeist schon auf beiden Plattformen. Ein weiterer Grund für die künftige Egalisierung des Angebots sei die zunehmende Etablierung von HTML5. Der neue Web-Standard ermöglicht zahlreiche Anwendungen direkt im Browser, womit sie allen Nutzern gleichzeitig zugänglich gemacht werden können. Gleichzeitig betont Zemlin aber auch, dass einige aufwändigere Programme wie Spiele weiterhin App-basiert sein werden. Und insbesondere bei Handy-Games gebe Apple noch ganz klar den Ton an.
Danke Apple
Zemlin blickt jedoch nicht wehmütig auf den kalifornischen Trendsetter. Der Erfolg des iPhones und nun auch des iPads habe Linux mehr geholfen, als geschadet. "In gewisser Weise ist Apple das Beste, was Linux seit Jahren passiert ist". Apple habe die gesamte Industrie wachgerüttelt und wegweisende Konzepte wie den App Store durchgesetzt, die die Konkurrenz nun mit Hilfe von Linux-Plattformen umsetzen. Dank Linux und Android habe man rasch auf solche Entwicklungen reagieren können, ohne erst selbst jahrelang an einem Betriebssystem werken zu müssen.
"Sie sprechen mit einem Typen, der ein Jahrzehnt mit dem Kampf gegen Microsoft auf dem Desktop verbracht hat. Die gesamte Zeit über war die WinAPI unser größter Feind. Und das ist nun vorbei. So, danke dir, Apple. Das ist ein tolles Geschenk", meint Zemlin abschließend. (zw, derStandard.at, 11.8.2010)