Je heftiger ein Streit zwischen Raben ausfällt, desto häufiger kommt es vor, dass der Verlierer von verwandten und bekannten Vögeln getröstet wird - ein äußerst menschliches Verhalten, das in der Tierwelt bisher nur bei Schimpansen beobachtet wurde.

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Zwei Kolkraben bei der sozialen Variante der Gefiederpflege: Körperkontakt spendet Trost und wirkt stressreduzierend.

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Die Forscher haben drei Jahre lang die soziale Ader von Kolkraben unter die Lupe genommen.

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Eine soziale Verhaltensweise, die uns zutiefst menschlich erscheint, ist wohl das Trösten. Wenn unser Partner oder einer unserer Verwandten und Freunde Kummer hat, trösten wir ihn: Das kann mit Worten passieren, mit Körperkontakt oder durch simple Anwesenheit. Unter bestimmten Umständen können selbst Fremde in den Genuss menschlicher Anteilnahme gelangen. Aber Tröstung ist nicht dem Homo sapiens allein vorbehalten. Wie so viele andere "typisch menschliche" Eigenschaften und Fähigkeiten wird diese auch bei anderen Arten vermutet.

Um wirklich von "Trösten" sprechen zu können, muss man von einem gewissen Maß an Empathie ausgehen. Bisher kennt man das jedoch ausschließlich von Schimpansen: Bereits in den 1970er-Jahren beschrieb Frans de Waal, dass Tiere, die bei einem Konflikt zugesehen hatten, ohne selbst beteiligt zu sein, danach das Opfer, das angegriffen worden war, umarmten. Bei den bisher untersuchten anderen Affenarten hingegen fehlt dieses Verhalten in erstaunlichem Ausmaß: Bei Japan-Makaken etwa machen Mütter, deren Kinder in einem Kampf den Kürzeren ziehen, keinerlei Anstalten, sich ihrer Sprösslinge in irgendeiner Form besonders anzunehmen.

Versöhnung nach dem Kampf

Was bei mehreren Affenarten allerdings sehr wohl vorkommt, ist Versöhnung nach einem Konflikt, wobei diese nicht unbedingt zwischen den Gegnern selbst erfolgen muss. Von Pavianen weiß man, dass nach einem Kampf die Verwandten des Aggressors durch freundliche Laute an das Opfer wieder ein erträgliches Klima in der Gruppe herstellen. Inwieweit Verhaltensweisen wie Versöhnung und Trösten auch bei Vögeln auftreten, haben Thomas Bugnyar und Orlaith Fraser vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF untersucht.

Prinzipiell lässt sich sagen, dass die Qualität jeder Beziehung von drei Parametern abhängt: Da ist zuerst einmal ihr "Wert" in Form von Nahrung oder Unterstützung, die man von einem Gegenüber erwartet, dann die Kompatibilität, also das Ausmaß, in dem man den Partner erträgt, und schließlich die Sicherheit, das heißt die Vorhersehbarkeit seines Verhaltens. Bisher war die Gültigkeit dieser Parameter nur für Primaten nachgewiesen - wie Bugnyar und Fraser zeigen konnten, bestimmen sie auch bei Kolkraben die Qualität der jeweiligen Beziehung. Das heißt aber noch nicht, dass die Vögel einander auch Empathie entgegenbringen.

Soziales Benehmen

Im Erwachsenenalter beschränken sich die sozialen Verhaltensweisen, die Kolkraben so brauchen, weitgehend auf Interaktionen mit ihrem Partner, doch während ihrer Adoleszenz leben sie in großen Nichtbrüterverbänden, in denen sie ein umfangreiches Repertoire an "gesellschaftlichem Benehmen" brauchen. Ob dabei auch Trösten vorkommt, untersuchten Bugnyar und Fraser drei Jahre lang anhand von 13 an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau handaufgezogenen Raben, an denen sie alle nichtaggressiven Interaktionen registrierten, die unmittelbar auf einen Konflikt folgten.

Dabei kam es immer wieder vor, dass Unbeteiligte sich zum Verlierer setzten bzw. ihn mit dem Schnabel oder anderen Körperteilen berührten. Gewöhnlich handelte es sich dabei um Verwandte oder Individuen, mit denen der Verlierer eine intensive Beziehung hatte, und dieses Verhalten trat, je heftiger sich der vorangegangene Konflikt gestaltet hatte, desto eher auf - ein Muster, dem auch die Tröstungsversuche der Schimpansen folgen. "Der Kontakt hat eine stressreduzierende Wirkung", erklärt Thomas Bugnyar, er ist überzeugt: "Das ist Trösten." In einer anderen Raben-gruppe konnten die Forscher kürzlich auch Versöhnung nachweisen. Im Unterschied zu den Schimpansen scheint es aber im Vergleich zum Trösten einen geringeren Stellenwert zu haben.

Übrigens ist Trostspenden gar nicht so ungefährlich: In sechs von insgesamt 64 Fällen wurde der Trostspender in der Folge selbst attackiert - fünfmal vom Aggressor, einmal von einem anderen Zuschauer. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 11.08.2010)