Bild nicht mehr verfügbar.

Gott sprach, es werde Licht: Doch in der katholischen Kirche gibt es angesichts der Austrittszahlen nur wenig Erhellendes.

Foto: APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

Wien - Man hat dieser Tage vonseiten der österreichischen Bischofskonferenz offensichtlich ganz genau gewusst, warum man sich rund um die Kirchenaustrittszahlen ein Schweigegelübde auferlegt. Als offizieller Grund für den spontanen Verschub der Präsentation der Vorjahreszahlen von Mitte August auf Anfang Jänner wurde zwar die Möglichkeit eines besseren Vergleichs genannt, inoffiziell gehen die Bischöfe aber vor einer Rekordaustrittswelle in Deckung.

Und diese dürfte in noch nie dagewesener Größe über die heimische Kirche hereinbrechen. Denn auch wenn man derzeit bei Fragen über aktuelle Austritte sowohl in den Diözesen als auch in der Finanzkammer der Erzdiözese Wien auf eine Mauer des Schweigens stößt, zeigt man sich bei den Bezirksverwaltungsbehörden in den Städten - wie ein Rundruf des Standard zeigt - deutlich gesprächsbereiter.

Bis zu 100.000 Austritte möglich

Und die Halbjahresbilanz der Magistrate, die in Österreich Austritte entgegennehmen und an die Religionsgemeinschaften weiterleiten, prophezeit der Kirche ein dickes Minus mit Jahresende 2010. Setzt sich der Trend aus dem ersten Halbjahr fort, so dürften am Ende gut 100.000 Schäfchen der Kirche heuer den Rücken kehren. In Eisenstadt verabschiedeten sich etwa im Zeitraum von 1. Jänner bis 30. Juni 95 Menschen aus der Kirchenbank. 2009 entschlossen sich im selben Zeitraum gerade einmal 35 Katholiken zu diesem Schritt. Waren es in Klagenfurt im ersten Halbjahr 2009 noch 446 Austritte, sind es heuer bereits 852.

Wagner-Marke übertroffen

Besonders groß scheint der Wille zum Abschied in Graz zu sein: Traten im gesamten Jahr 2009 1218 Katholiken aus, waren es heuer bis einschließlich 4. August bereits 2734 Personen. In St. Pölten waren es 565 bis 4. August (gesamt 2009: 422) und in Innsbruck im ersten Halbjahr 2010 1188 (Halbjahr '09: 599). In Linz konnte die Halbjahresmarke aus dem Vorjahr - die angesichts der Diskussion um den Beinahe-Weihbischof Gerhard Maria Wagner bereits bei 1373 Austritten sehr hoch lag - noch einmal übertroffen werden. "Mit Stichtag 30. Juni 2010 hatten wir 1748 Austritte. Eine ungewöhnlich hohe Zahl", erklärt Gabriele Ambach vom Magistrat Linz auf Standard-Anfrage.

In der Stadt Salzburg musste die Kirche im Vorjahr noch insgesamt 828 Austritte hinnehmen, richtig schmerzlich wird es aber erst heure mit bereits 1273 "Kündigungen" im ersten Halbjahr 2010. In Bregenz kehrten im Vorjahr gesamt 520 Personen der Kirche den Rücken, in der ersten Jahreshälfte 2010 waren es bereits 1139.

Keine Auskunft in Wien

Nur in Wien scheint man das bischöfliche Schweigegelübde ernst zu nehmen. Als einzige Landeshauptstadt Österreichs gibt man beim Magistrat Wien keine Kirchendaten preis: "Die Kirchenaustrittszahlen bekommt zuerst die Erzdiözese." Ohne Wien haben sich heuer in den Hauptstädten im ersten Halbjahr 8647 Katholiken verabschiedet (2009: 3947).

Die letzte Kirchenstatistik der Bischofskonferenz wurde im August des Vorjahres für 2008 veröffentlicht. Damals betrug die Katholikenzahl 5,58 Millionen, was einem Rückgang von 23.691 Katholiken entsprach. Aber in den Tagen vor dem großen Schweigen hat auch heuer schon so mancher eine vorsichtige Prognose gewagt: Im Juni hatte der Leiter der Kirchenbeitragsstelle der Erzdiözese Wien, Josef Weiss, erklärt, es sei nicht unrealistisch, dass bis zu 80.000 Menschen die katholische Kirche im Jahr 2010 verlassen.

Sieben Millionen Euro weniger

Und der Mitgliederschwund wirkt sich vor allem im Klingelbeutel aus: Nach vorläufigen Berechnungen dürften der katholischen Kirche heuer rund sieben Millionen Euro an Kirchenbeiträgen entgehen. Was aber angesichts des gesamten Kirchenbeitragsaufkommen von 350 Millionen Euro pro Jahr wohl zu verschmerzen sein dürfte. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, Printausgabe, 10.8.2010)