Wien - Die Kritik am Maschinenbaukonzern Andritz wegen dessen Engagement beim Kraftwerksprojekt Ilisu in der Türkei ist noch nicht verstummt, da zeichnet sich einige 1000 km südwestlich schon der nächste Konflikt ab. In Brasilien soll am Fluss Xingu, einem Seitenarm des Amazonas, ein Wasserkraftwerk gebaut werden mit, geht es nach dem Willen von Andritz, Turbinen und Generatoren aus Österreich.
Andritz jedenfalls hat sich an der Ausschreibung beteiligt. Zuschlag habe es entgegen anderslautender Berichte in brasilianischen Medien noch keinen gegeben. Auch die Investitionsentscheidung sei noch nicht gefallen. "Ich rechne auch nicht damit, dass das in den nächsten Wochen passiert" , sagte der Vorstandsvorsitzende der Andritz AG, Wolfgang Leitner, bei der Vorlage der Halbjahreszahlen am Montag.
Das Projekt mit dem Namen Belo Monte würde bei Realisierung die Dimensionen von Ilisu freilich bei weitem sprengen. Das von der Regierung in Brasilia und den beiden staatlichen Stromversorgungskonzernen Eletronorte und Eletrobrás vorangetriebene Kraftwerk soll nach Fertigstellung mit einer installierten Leistung von gut elf Gigawatt (GW) das leistungsmäßig drittgrößte der Welt sein. Nur das Kraftwerk am Drei-Schluchten-Staudamm in China (18,3 GW) und Itaipú an der paraguayisch-brasilianischen Grenze (14 GW) wären noch größer.
Inoffiziellen Angaben zufolge beläuft sich allein die technische Ausstattung für das Kraftwerk Belo Monte auf einen Wert von rund drei Mrd. Dollar (etwa 2,3 Mrd. Euro). Diese Summe könnten sich, wenn alles gutgeht, Andritz, Alstom (Frankreich), Voith Siemens (Deutschland) und Impsa (Argentinien) teilen.
Nächstes Jahrzehnt ans Netz
Laut vorliegenden Plänen soll das Kraftwerk Mitte des Jahrzehnts ans Netz, was aber aufgrund zu erwartender heftiger Proteste von vielen bezweifelt wird. Rund 20.000 Menschen müssten abgesiedelt werden, weil der Fluss Xingu über drei Talsperren zu zwei Stauseen aufgestaut werden soll, die mit einer Fläche von rund 500 km2 etwa die Größe des Bodensees haben würden.
Stefan Maxian von der Raiffeisen Centrobank rechnet im Fall einer Auftragserteilung bei der Andritz-Aktie mit einem Kursaufschlag zwischen 60 Cent und einem Euro, sagte er dem Standard.
Die Halbjahreszahlen von Andritz lagen jedenfalls über den Erwartungen der meisten Analysten. Bei einem zum Vorjahreszeitraum kaum veränderten Umsatz von 1,526 (1. Halbjahr 2009: 1,574) Mrd. Euro verbesserte sich das operative Ergebnis (Ebit) um 78,5 Prozent auf 92,8 Mio. Euro, wobei insbesondere im zweiten Quartal ein deutliches Ergebnisplus zu verzeichnen war.
Bis auf den Stahlbereich, der wegen Überkapazitäten eine mäßige Performance zeigte, gab es in allen bearbeiteten Geschäftsfeldern Zuwächse. Mit 1,395 Mrd. Euro verzeichnete Andritz zwischen April und Juni 2010 den höchsten Auftragseingang der Unternehmensgeschichte.
Darin enthalten sind auch 350 Mio. Euro für die Lieferung von Kraftwerksausrüstung in die Türkei (Ilisu). Umsatzwirksam werden sie erst nach und nach. Leitner: "Im Herbst beginnen wir mit der Lieferung von Druckrohrleitungen. Generatoren und Turbinen folgen in ein paar Jahren." (Günther Strobl, DER STANDARD, Printausgabe, 10.8.2010)