Karin Giselbrecht und Martin Wassermair von Public Netbase, zwei aus der "Generation Internet" des Jahres 2000, die sich laut dem damaligen Bundeskanzler zum letzten Mal "aufgebäumt" haben.

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Wien - Bereits Mitte der 1990er-Jahre entstand eine vielfältige Medienkulturszene, die sich intensiv, kritisch und experimentell mit den sich rasant ausbreitenden Informationsnetzen auseinandersetzte. In einer Vielzahl von Interventionen, Symposien, Ausstellungen und Performances wurden Implikationen des neuen Mediums ausgelotet. Es entstand ein Boom in der künstlerischen, politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den neuen Kulturtechnologien, die immer mehr die Welt durchdrangen.

Global und lokal

Die von regem öffentlichen Interesse begleitete Beschäftigung mit digitalen Medien wurde insbesondere von kleineren und wenig etablierten Kulturorganisationen getragen. Die globale Vernetzung war Untersuchungsgegenstand und lokale Alltagspraxis in einem. Wesentlich zur Entwicklung dieser Szene beigetragen hatten neuartige Institutionen, wie die 1994 vom Wiener Institut für Neue Kulturtechnologien / t0 gegründete Public Netbase. Sie repräsentierten einerseits eine europäische Medienkulturszene, spiegelten andererseits ein lokales Umfeld wider und entwickelten ein eigenes Profil.

Noch im Jahr 2000 wurden in Österreich regierungskritische Aktivitäten von Wolfgang Schüssel als "das letzte Aufbäumen der Internetgeneration" bezeichnet. Public Netbase geriet als Kommunikationsplattform einer nunmehr als "Internet-Generation" bezeichneten Protestbewegung besonders ins Fadenkreuz.

Der FP-Abgeordnete Schweitzer wollte nicht nur lautstarke Kritik erkennen, sondern verortete die Aktivitäten "an der Halsschlagader der Regierung" . Schon bald sollte sich zeigen, dass kritische kulturelle Praxis in digitalen Informationswelten sogar noch weniger Unterstützung finden würde als sonst wo.

Digitale Kontrolle

Anfängliche Hoffnungen auf breiten Zugang zu vielfältigen und von Selbstermächtigung getragenen Wissensumgebungen haben sich nur punktuell erfüllt, stattdessen sind viele der schlimmsten Befürchtungen breitenwirksam geworden. Und Wissensgesellschaften sind immer auch Desinformationsgesellschaften. Das Potenzial umfassender digitaler Kontrolle war schon in der Entstehung des Internets angelegt.

Claude Lévi-Strauss schreibt über die Entstehung der Kulturtechnik der Schrift, "die primäre Funktion des Schreibens, als Mittel der Kommunikation, ist, die Versklavung anderer Menschen zu ermöglichen" . Die Verwendung für uneigennützige Ziele in den Gebieten der Wissenschaft oder der Kunst sei ein sekundäres Ergebnis und möglicherweise "nicht mehr als ein Mittel zur Stärkung, Rechtfertigung oder Verschleierung ihrer primären Funktion."

Politische Hegemonie wird nicht erst seit dem Kalten Krieg kulturell legitimiert, und die digitale Unterhaltungsindustrie entwickelt sich in einer tiefen Symbiose mit dem Militär. Die elektronischen Netzwerke und bunten Computerwolken der neuen Kulturtechnologien entwickelten sich nicht frei von Machtinteressen.

Gleiche Interessen

In kognitiver Kapitalwirtschaft globalisierter Informationsgesellschaften fallen politische, ökonomische und informationelle Interessen oftmals zusammen.

Skalenökonomien und Regime zur Durchsetzung "geistigen Eigentums" knebeln künstlerische Praxis und bremsen technische Entwicklung. Dezentralisierte Produktion überlässt fragmentierte und oberflächlich vernetzte Subjekte zentraler Kontrolle bzw. den fragwürdigen Absichten intransparenter Konzern-Oligopole. Neue Arbeitsverhältnisse, angeblich durch ein größeres Maß an Flexibilität und Selbstbestimmung gekennzeichnet, schaffen oftmals verschärfte Abhängigkeiten und neue Formen der Unfreiheit.

Mit der Explosion von Informationen haben Fragen der Orientierung und der Navigation in den Meeren des Wissens eine neue Dringlichkeit gewonnen. Es ist kein Zufall, dass eine Suchmaschine wie Google zu einer der bedeutendsten Marken des neuen Jahrhunderts geworden ist.

Aber Dinge können auch unsichtbar werden, weil sie sich, naturalisiert und unter Gewohnheiten begraben, in einer Wolke allgemeiner Annahmen auflösen.

Scheinbar neutrale Codes

Umso mehr stellt sich die Frage, was es bedeutet, eine Beziehung zur Welt vor allem über digitale Informationstechnologien herzustellen. In kognitiven Technologien verbirgt sich jenseits des Bildschirms immer auch eine politische Philosophie in einem scheinbar neutralen Code. In der täglichen Wirklichkeit des Informationsüberflusses fügen sich Informationsstrukturen und soziale Kategorisierung unauffällig in unsere täglichen Abläufe ein, die nicht nur die Wahrnehmung und das Gewebe unserer kognitiven Wirklichkeit verändern, sondern soziale Realität selbst.

Insbesondere durch ein weitgehendes Versagen der Politik, angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige und diversifizierte Informationslandschaften zu schaffen, sind unabhängige und kritische Analysen sowie eine künstlerische Kommunikationspraxis, die sich nicht auf die völlige Ökonomisierung aller Lebensbereiche einlässt, ein öffentliches Gut, das wichtiger erscheint denn je - das Kulturerbe der Zukunft. (Konrad Becker, DER STANDARD/Printausgabe, 07./08.08.2010)