Foto: Solmaz Khorsand

"Alles oder nichts", wiederholt Sulyman Qardash immer und immer wieder. Ein Perfektionist ist er, der schlaksige Leadsänger von "Kabul Dreams". 12 Lieder haben sie im Kasten, das Album soll bald erscheinen, aber nur unter einer Bedingung, meint der 20-Jährige: "Die müssen noch alle verfeinert werden in den richtigen Studios in Europa oder Amerika."

Sulyman, Bassist Saddiq Ahmed und Drummer Mujtaba Habibi sind also Afghanistans erste Indie-Rockband.

"The Dream of all my life"

Drei ernste Jungs in ihren Zwanzigern, die eher an zugängliche Musiknerds erinnern als an verruchte Rockstars. Ihre Musik klingt nach Oasis, the Strokes, Placebo und Green Day. Ihre Idole sind Radiohead und Arctic Monkeys. Jede Botschaft, die etwas auf sich hält, hat die drei jungen Maenner bereits bei sich aufspielen lassen. Sie sind dankbar für jeden Gig, gibt es doch keine Lokale oder Konzerthallen wo sie ihre Hits "Can you fly?" oder "The Dream of all my life" zum Besten geben können. Ihre Konzerte sind der Höhepunkt der Woche eines jeden Expats, und ob Amerikaner, Franzose oder Deutsche, sie alle fiebern dem Donnerstag oder Freitag entgegen, an dem Kabul Dreams eines ihrer Gästehaeuser zum Beben bringt.  

Seit sie vor ein paar Monaten vor rund 200 Studenten der American University of Afghanistan aufgetreten sind, kennen sie auch Kabuls junge Intelligentsia.
"Es war das erste Mal, dass mein Vater bei einem meiner Konzerte war. Er hat sich richtig gefreut', berichtet Bassist Siddiq stolz. Der 28-Jährige mit der schwarze Mähne ist der älteste der Gruppe. Aufgewachsen in Pakistan, will er mit seinen Bandkollegen Afghanistan aus dem dunklen Zeitalter indischer Klimpermusik befreien und sanft in den internationalen Mainstream führen.

 

Ihr großer Traum, wahrscheinlich der einer jeden Band in den Startlöchern: Aufs Cover des Rollings Stones Magazine, die Hits auf und ab bei MTV und natürlich eine Handvoll Grammys. In Afghanistan gibt es keinen Journalisten, der die drei bodenständigen Rocker noch nicht gecovert hat. Aber Sänger und Songschreiber Sulyman hat sichtlich die Nase voll, während wir in einem schummrigen afghanischen Imbiss zu Mittag essen. "Es sind nie die Kulturjournalisten, die mit uns reden wollen." Afghanistans erste Rockband ist eben eine Skurilität, klar verkauft sich so etwas gut.

Keine Lust auf Exotenbonus

Doch der Exotenbonus geht den drei Musikern langsam auf die Nerven, auch wenn sie höflich genug sind, dass mir gegenüber nicht zu sehr heraushängen zu lassen. Sie wollen als Künstler ernst genommen werden und nicht als bemitleidenswerte Hinterwäldler, denen man Instrumente in die Hand gedrückt hat und nun schaut was passiert. Zu Politik, Karzai, Taliban oder Amerikaner wollen sie in ihrer Musik nicht Stellung nehmen: "Wir wollen den Krieg nicht ausnutzen fuer unsere Musik", meint Band Papa Siddiq, "Wenn irgendwo eine Bombe explodiert, registrieren wir das, mehr nicht. Wir wollen uns nicht von unserer Arbeit ablenken lassen. Was sollen wir denn machen, es passiert ohnehin immer wieder."

Acht Stunden Proben

Jeden Tag proben sie acht Stunden in einem kleinen Studio eines Ausländers, das sie liebevoll House of Rock getauft haben. Nebenbei arbeiten sie für das Fernsehen und Radio und studieren Internationale Beziehungen und Handel. Ob sie Angst haben eines Tages ins Visier der Taliban zu geraten, stellen Rocker doch den Inbegriff westlicher Dekadenz dar? "Für die Taliban wäre es ein Leichtes uns auszulöschen", sagt Suleihman und schnippt mit den Finger, "ich glaube aber nicht, dass wir ganz oben auf der Liste stehen. Da gibt es größere Fische."

Wunschziel Abbey Road

Über Anschläge will er sich keine Gedanken machen und noch weniger darüber reden, lieber erzählt er von seinen Visionen eines ausgeklügelten Musikvideos mit großen Kameraeinstellungen, aufwendigen Kulissen und begnadeten Visagisten, die sie so herrichten, wie er sich das vorstellt. Es ist alles nur eine Frage der Zeit. Und eines Tages werden sie dann in der Abbey Road Studios in London ihre Alben aufnehmen, wie die Beatles und sich mit einem kräftigen Händedruck einen Grammy von Thom Yorke, Leadsänger von Radiohead, überreichen lassen. Zu wünschen wäre es ihnen. (Solmaz Khorsand aus Kabul, derStandard.at, 5.8.2010)