Dieter Glawischnig

Foto: Graz Meeting

23 Jahre hindurch fungierte Dieter Glawischnig in Norddeutschland als Bigband-Leiter und Jazzpädagoge. Nun ist er wieder "frei" und verstärkt als Pianist aktiv - am Donnerstag beim "Graz Meeting", am Freitag im Wiener Porgy & Bess. Ein Gespräch.


Wien - "Durch die Powerplay-Ästhetik, so schnell und so laut wie möglich zu spielen, sind wir durch; wir wollen differenzieren": Dieter Glawischnig tat jene Ansicht bereits vor 25 Jahren im Fachblatt Jazzforum kund, womit er nicht nur seine eigene, sondern die Entwicklung des europäischen Free Jazz seit den späten 60er-Jahren in seiner Gesamtheit charakterisierte.

Wobei das Wörtchen "differenziert" in Bezug auf ihn selbst etwas harmlos klang: Stand der Grazer Pianist und Komponist gemeinsam mit Ewald Oberleitern (Bass) und dem 2002 verstorbenen John Preininger (Schlagzeug), mit denen er seit 1974 als Trio Neighbours firmierte, doch für eine geradezu intellektuelle Spielart der freien Musik, in der mannigfaltige motivische Bezüge bis hin zu Varianten seriellen Improvisierens (!) an die Stelle der traditionellen Akkordschemata traten.

Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Chicagoer Saxofonisten Anthony Braxton, damals Superstar des Avantgarde-Jazz, sorgte für Aufsehen. "Es ging um einen Weg, an Cecil Taylor vorbeizukommen", erinnert sich Glawischnig heute. "Was uns, so denke ich, mit dieser Art des motivisch-thematisch gebundenen Free Jazz gelungen ist." Und fügt nichtsdestotrotz hinzu: "Braxtons Lieblingsstück war damals das Erzherzog-Johann-Lied!" Glawischnig ahnte damals wohl selbst noch nicht, dass ihm selbst bald "das Herz so weh" tun würde - ob des Abschieds von der heimatlichen Steiermark.

Hamburg rief. Während in den folgenden 23 Jahren die Arbeit als Pianist in den Hintergrund trat, wirkte er, sowohl zum Musikwissenschafter als auch zum Dirigenten, Posaunisten und Trompeter ausgebildet, ab 1980 als Leiter der NDR-Bigband, die sich unter seiner Ägide vom dienstbaren "Tanz- und Unterhaltungsorchester" zum modernen, renommierten Solistenklangkörper wandelte.

Auch als Pädagoge hinterließ Glawischnig in der Hansestadt seine Spuren: 1985 richtete er an der dortigen Musikhochschule - seine Erfahrungen als Leiter der Jazzabteilung an der Grazer Musikuniversität (1968 bis 1975) ausschöpfend - einen "Studiengang für Jazz und jazzverwandte Musik" ein. "Dass nur wenige junge Musiker über eine eigene Handschrift verfügen", sagt Glawischnig zur vielfach geäußerten Beobachtung, "war schon immer relativ selten und wird immer selten bleiben. Als Lehrer kann ich natürlich keine Genies züchten, aber ich kann ständig anregen. Und versuchen zu verhindern, dass die jungen Leute sich auf einen stilistischen Leisten festnageln."

Mittlerweile hat der lange Abschied aus Hamburg begonnen. Am 6. März wurde Dieter Glawischnig anlässlich seines 65. Geburtstags mittels konzertanter Feier, in deren Rahmen auch sein jüngstes Orchesterwerk Jedes Ich Nackt nach Ernst Jandls postum veröffentlichten Letzten Gedichten uraufgeführt wurde, offiziell an der Hochschule verabschiedet. Ein neuer Leiter der NDR-Bigband wird gesucht.

Glawischnig fühlt sich "free again", wird mittelfristig nach Graz zurückkehren. Und verstärkt wieder als Pianist in Erscheinung treten. Vorerst im Duo Cercle mit Violinist Andreas Schreiber, mit Weggefährte Ewald Oberleitner und zwei prominenten Gästen: Saxofonist Vladimir Chekassin und Drummer Vladimir Tarasov. Und auch Ernst Jandls Texten möchte sich Glawischnig erneut widmen, arbeitete er doch seit 1966 mit dem Poeten zusammen:

"Es war schön, von ihm auf den Leserreisen unter die Fittiche genommen zu werden", so Glawischnig. "Wir spielten oft vor großen Auditorien. Dank Jandl haben die uns unsere Musik aus der Hand gefressen." (DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2003)