Fritz Verzetnitsch selbst wies auf die historische Bedeutung des Streikbeschlusses vom Donnerstag hin. Zuletzt habe es einen solchen Beschluss der Gewerkschaften in den
50er-Jahren gegeben, Anlass war damals der so genannte "Kommunistenputsch". Anlass diesmal: der "Pensionsputsch" der Regierung. Die Gewerkschaft wird also streiken. Dass Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor dem kommenden Dienstag doch noch einlenkt und den Regierungsentwurf zur Pensionsreform zurückzieht, ist äußerst unwahrscheinlich.
Der ÖGB-Präsident beteuert, dass es nicht darum gehe, die Regierung zu bekämpfen, und dass es sich um keinen politischen Streik handle. Diese Argumentation gewinnt angesichts der breiten Ablehnung der Pensionsreform quer durch alle politischen Lager an Glaubwürdigkeit. In seltener Eintracht schreiten die Sozialpartner wieder Seite an Seite, und Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl hat sich zur Galionsfigur des bürgerlichen Widerstands gegen die geplante Pensionsreform gemacht.
Das Angebot der Sozialpartner, doch noch einen Anlauf zu nehmen und bis Herbst einen gemeinsamen Entwurf für eine sozial gerechte Pensionsreform, deren Notwendigkeit niemand infrage stellte, auszuarbeiten, hat Schüssel kalt abgewiesen. Er will eisern an seinem Fahrplan festhalten und die Reform durchpeitschen. Warum er bei dieser heiklen Materie die Sozialpartner vor der Türe stehen lässt, anstatt den Konsens zu suchen, den er so oft gepredigt hat, ist unverständlich.
Die Streiklust der Österreicher ist traditionell sehr gering, der Unmut über das Vorgehen der Regierung (oder ist es nur das der ÖVP?) aber sehr groß. Überfallsartige Pensionskürzungen um 30 oder 40 Prozent stehen im Raum, deren Notwendigkeit die Regierung in diesem Ausmaß nicht argumentieren konnte. Der Bundeskanzler konnte nicht nachweisen, dass die von ihm propagierten Maßnahmen, die an die Grenze der Enteignung der Pensionsbeiträge gehen, tatsächlich der Erhaltung und langfristigen Sicherung des Pensionssystems dienen. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass mit dieser Reform auch eine kurzfristige Budgetentlastung umgesetzt werden soll. Diesen Verdacht hat Schüssel bisher nicht entkräftet.
Die Gesprächsverweigerung des Kanzlers bringt die verunsicherte Bevölkerung und deren Interessenvertretungen auf die Beine - zu Recht. Schüssel hat wohl Angst, dass bei einer Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern seinem Entwurf die budgetwirksamen Giftzähne gezogen werden. Eine wirkliche Verzögerung ist bei einem breiter angelegten Dialog nicht zu befürchten: Sowohl Verzetnitsch als auch Leitl, selbst SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer, haben mehrfach bekräftigt, dass auch sie an einer Reform mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2004 festhalten würden.
So lässt Schüssel der Gewerkschaft keine andere Wahl, als aus dem Fundus der Kampfmaßnahmen zu schöpfen. In der Wahl der Mittel ist der ÖGB zwar nicht zimperlich, überzieht aber auch nicht. Es wird keinen Generalstreik geben. Das stellte Verzetnitsch deutlich fest. Schließlich sei durch die Pensionsreform nicht die Demokratie in Gefahr gebracht. Was kommt, sind "Abwehrstreiks". Laut ÖGB-Definition dienen diese "zur Verhinderung von Anschlägen auf die Arbeitsbedingungen oder auf die soziale Sicherheit von Arbeitnehmern". Die soziale Sicherheit wird durch die nun vorgesehenen Maßnahmen der Reform in der Tat untergraben.
Man wird also mit punktuellen Streiks und gröberen Behinderungen im Alltag, etwa durch Verkehrsblockaden, rechnen müssen. An Schüssel wird es liegen, den Sozialpartnern entgegenzukommen und so die Aktionen der Gewerkschaft auf ein erträgliches Maß zu beschränken.
Ein ganz perfide Waffe haben die Sozialpartner aber noch im Köcher: Sie umgarnen die FPÖ und deren Chef Herbert Haupt und versuchen, diese auf ihre Seite zu ziehen. Gelingt das, dann hat Schüssel bereits verloren. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2003)