Martin L. Gore
Counterfeit 2
(Mute/Virgin)

Foto: Mute/Virgin

Mr. Depeche Mode, Martin L. Gore, macht Urlaub vom Büro und genehmigt sich und seiner Plattenfirma ein relativ unverkäufliches, weil für seine Verhältnisse unspektakuläres Soloalbum voller Coverversionen.


Es gibt Leute, die auf Martin L. Gore aus nicht näher spezifizierten Gründen offensichtlich ein wenig neidisch sind. Der sonst um ungerechtfertigtes Lob für jeden dahergelaufenen Britpopper mit Amphetamin-Problemen kaum verlegene britische New Musical Express äußert sich in seiner aktuellen Ausgabe über die Soloarbeit des Depeche-Chefs etwa so: "Für uns wird er immer die mopsgesichtige, wasserstoffblondierte Schlaftablette von Depeche Mode bleiben, die immer wie ein fettes Mädchen tanzte, das sich mit warmer Kacke in die Hosen gemacht hatte. Aber er ist reich und brachte seiner Plattenfirmen Abermillionen Britischer Pfund ein und kann deshalb veröffentlichen, was immer er will. Sogar inferiore, sich selbst zu wichtig nehmende Wichse wie diese."

Dabei ist nur die aus Counterfeit 2, der zweiten Soloarbeit von Gore, ausgekoppelte Single gemeint. Eine kranke, elektronisch knisternde und krachende Coverversion des alten, eitlen und selbstmitleidigen, das eigene Superstar-Dasein weinerlich reflektierenden Glamrock-Hits Stardust von David Essex aus den frühen 70er-Jahren - wie man ihn heute auch auf dem neuen Album von Madonna finden könnte: "Oh, look, what they've done to the rock'n'roll clown ... in the stardust ring, hey, rock'n'roll king is down." Und dann kommt noch das gute alte Niemand-mag-mich und die ganze volle Kanne.

Vielleicht resultieren die Aggressionen gegenüber Multimillionären,wie wir es auch gerne wären, einfach daher, dass es sich ab einem gewissen Guthaben auf der Bank nicht empfiehlt, darüber zu verhandeln, dass man es privat jenseits der Scheinwerfer auch nicht leicht hat. Weil Gesundheit und Glück kann man sich bekanntlich nicht erkaufen. Was einem der Therapeutenbeirat, der persönliche Fitnesstrainer und der hauseigene Guru, der im Dritte-Welt-Laden bei einer Auktion günstig hergangen ist, eh dauernd sagen. Und so weiter.


Martin L. Gore macht mit knapp 43 Jahren nach dem Minialbum Counterfeit 1 aus 1989 einfach wieder einmal das, was einem vom Erfolg möglicherweise etwas träge gewordenen Künstler gut ansteht. Siehe etwa auch Bryan Ferrys erste Soloalben aus den 70er-Jahren, die er parallel zu den frühen Meisterwerken von Roxy Music veröffentlichte. Gore versucht, sich über die Neudeutung von Fremdmaterial selbst zu sichten und sich ohne großes Aufsehen (na ja) ganz einfach Luft zu verschaffen, die im eigentlichen Firmensitz, dem Unterhaltungskonzern Depeche Mode, über die Jahre ein wenig dünn geworden ist. Immerhin besteht Counterfeit 2 wieder ausschließlich aus Coverversionen.

Nachdem Gore 1989 schon beim Solodebüt mit einer inhaltlich (siehe auch: Bankkonto) gewagten Version des Gospel-Traditionals Motherless Child inhaltlich etwas übers Ziel schoss, beschränkt er sich dieses Mal auf die gute alte Schlachtbank der Liebe und die funky Sehnsucht nach dem Tod. Hey, der Mann muss sich schließlich als alleiniger Texter und Komponist für Depeche Mode auch zwischendurch wieder mit Sister Morphine auf eine tristere Zukunft anstoßen! Woher, wenn nicht aus der Plattensammlung soll denn in der Wahlheimat Los Angeles der süßliche Leichenduft der Amour fou und der britische End- und Jederzeit-Nebel kommen?!


Gore greift dabei neben David Essex vor allem auch auf seriösere Idole seiner Jugend zurück. Brian Eno in seiner Krautrock-Phase wird mit einer klanglich an einen Soundtrack der alten tschechoslowakischen Zeichentrickserie Lolek & Bolek erinnernden Version von By This River ebenso gewürdigt, wie Iggy Pop und David Bowie mit Tiny Girls im Warenkorb liegen, wie Lou Reed mit - Kinderüberraschung! - Candy Says vorbeischaut. Herzig, rührend, manieristisch und leicht affektiert, aber was sollen Popstars anderes tun als ihrem Beruf nachgehen: Gore deutet Die Ballade Vom Einsamen Mädchen, bekannt geworden durch die deutsche Chanteuse Nico, die Gundel Gaukelei von Velvet Underground: " ... untt weeer von diese Wain tranck, konnt' nie mehr glucklich saiiin!"

Auch beim unerwarteten Material, einer Interpretation von Nick Caves Loverman, John Lennons und Yoko Onos Oh My Love, der Pianoballade Lost In The Stars von Kurt Weill und Maxwell Anderson oder In My Other World von Julee Cruise, allesamt äußerst spartanisch und zurückhaltend aus dem Laptop klickend arrangiert, wird allerdings ein altes "Problem" bei Depeche Mode auch wieder recht deutlich: Nicht nur, dass Martin L. Gore ohnehin der Kopf der Band ist. Mit seinem warmen Tenor kann er auch besser und vor allem beseelter singen als Dave "der tanzende Roboter" Gahan. Die besten Depeche-Mode-Songs sind immer jene, die Gore singt. Fakt. Gahan hat im Juni übrigens ein selbstkomponiertes Solowerk in Aussicht gestellt. Angst. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2003)