Matilda Leko und Thiemo Kirberg begeisterten das Publikum im Wiener "Aera".

Foto: Eva Zelechowski

"Ich vermisse die Emotionalität im Wiener Jazz."

Foto: Eva Zelechowski

Es war ein Sinnesrausch der besonderen Art, den die beiden Autodidakten - wie sie sich bezeichnen - bei ihrem Auftritt am Dienstagabend im Wiener Aera erzeugten. Die weiche und zugleich kraftvolle Jazzstimme von Matilda Leko bildet mit der Gitarreneskorte von Thiemo Kirberg einen abwechslungsreichen Jazzsound, der sich mühelos auf das Publikum überträgt. In seinen Kompositionen und Improvisationen mischt das Ensemble Einflüsse aus serbischer Volksmusik, russischen Melodien und Wiener Mundart.

Wäre Wien nicht bereits als Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident bekannt, hätten spätestens Matilda Leko und Thiemo Kirberg es dazu gemacht. Es fällt nicht auf, dass die Tochter einer Romni und eines Serben und der Deutsche aus unterschiedlichen Welten kommen. Wenn die beiden Vollblutmusiker gemeinsam auf der Bühne stehen verbindet sie die Leidenschaft und die Tiefe des Ausdrucks in einer unverwechselbaren Art und Weise. Das Resultat sind traditionelle Stücke in modernem Gewand.

daStandard.at: Jazz wird ja allgemein als Weltmusik angesehen, in der unterschiedlichste Menschen zusammenkommen. Seid ihr in der Szene trotzdem manchmal auf Ressentiments gestoßen?

Kirberg: In Österreich habe ich es schon erlebt, dass mir von anderen Musikern gesagt wurde, ich würde ihnen die Jobs wegnehmen. Aus Deutschland kenne ich das persönlich nicht. In Holland, wo ich studiert habe, bin ich mit unterschwelligen Anfeindungen schon ab und an konfrontiert worden.

Leko: Die Jazz-Szene in Wien ist sehr klein, jeder hat seinen Platz und hat Angst, einen Gig zu verpassen. Es herrscht ein harter Konkurrenzkampf und jeder !Eindringling" ist da natürlich unerwünscht. Mitunter kommt es auch zu unterschwelligem Hass unter den Musikern. Selbst habe ich so etwas aber noch nicht erlebt. Es mag aber auch am Konkurrenzdenken der Österreicher zu den Deutschen liegen. Als Serbin hatte ich aufgrund meiner serbischen Staatsbürgerschaft eher mit Behörden zu kämpfen. Als Musikerin wurde ich noch nicht mit Vorurteilen konfrontiert.

Wie läuft die Zusammenarbeit in derart durchgemischten Bands, wie du sie gewohnt bist?

Leko: Es ist herrlich! Ich fand es fantastisch, dass in meiner 2004 gegründeten Balkan-Band türkische, serbische und brasilianische Bandmitglieder waren. Ich fühle mich in solchen Konstellationen sehr wohl und bin auch der Meinung, dass Jazzmusiker sehr kosmopolitisch orientiert sind bzw. sein müssen. Da kommt es nicht selten vor, dass ein Serbe mit einem Albaner auf der Bühne performt, obwohl es in politischer Hinsicht natürlich ein Aufreger ist.

Wie nehmt ihr die Wiener Jazz-Szene verglichen mit anderen Städten wahr?

Kirberg: Im Vergleich zu Köln, wo ich vorher war, sehe ich die Wiener Jazz-Szene als besonders entwickelt, denn in Köln gibt es nicht einmal ansatzweise etwas Vergleichbares. Dort gibt es keinen Jazz-Club, der jeden Tag Programm macht und Wien bietet den Musikern mindestens drei Clubs, die noch dazu ziemlich prominent sind. Die Möglichkeiten sind hier größer, um als Künstler Gigs zu bekommen und das vor allem regelmäßig. Eine Besonderheit in der Wiener Jazz-Szene ist aber die Aufteilung in verschiedene Gruppen. Die Leute kennen sich teilweise nach zehn Jahren im Business immer noch nicht, obwohl die Szene ja nicht so groß ist.

Leko: Es ist interessant, die deutsche und die österreichische Situation der serbischen gegenüber zu stellen. In Novi Sad gibt es zwar nicht so viele Auftrittsmöglichkeiten, da es eine kleine Stadt ist, aber im Verhältnis dazu gibt es ausreichend Möglichkeiten aufzutreten. In einer größeren Stadt wie Belgrad ist wiederum viel mehr los, und es gibt zwei Riesenfestivals, die eine fantastische Plattform für Jazzmusiker darstellen. Abgesehen davon ist die Szene in Wien meines Erachtens sehr verkopft.

Was ist mit "verkopft" gemeint?

Leko: Hier beruht alles mehr auf intellektuellem Jazz, weniger auf emotionalem Jazz. Es wird ein bestimmter Emotionspegel nicht überschritten. Und dieser intellektuelle Jazz schreckt mitunter das Publikum ab. Dadurch ist es schwierig den Jazzmusikern näher zu kommen. Die Wiener Jazz-Szene ist hervorragend und voller toller Musiker, aber die Bereitschaft für das Risiko scheint mir nicht so gegeben. Ich vermisse die Emotionalität im Wiener Jazz.

Kirberg: Es findet auch eine große Verschulung des Jazz statt. Dass man heute Jazz studieren kann ist doch grotesk. Daraus entsteht ein kommerzieller Einheitsbrei, der mit richtiger Ausdrucksfreiheit und -tiefe nicht mehr viel gemein hat. Ich stehe der klassischen Jazz-Ausbildung eher kritisch gegenüber und entwickle lieber meinen persönlichen Stil.

Sieht das in Serbien anders aus?

Leko: Ja, in Serbien oder Brasilien gehen die Menschen, die Musiker und auch das Publikum viel mehr aus sich heraus, ich würde es mit mehr Pfeffer im Arsch begründen. Neben der Sprache wirken der Rhythmus, das Feuer und der Groove fast ansteckend.

Du singst in zehn Sprachen, zum Beispiel Englisch, Serbisch, Romanesk, Jiddisch oder Mazedonisch. Wie kommt es zu dieser Vielfalt?

Leko: Ich singe zwar in zehn Sprachen, aber nur Serbisch, Deutsch und Englisch spreche ich fließend. Die Texte in Bulgarisch oder Portugiesisch eigne ich mir speziell an und verstehe dann auch nur die Zeilen, die ich singe. In meinen drei Jahren bei Harri Stojka habe ich zum Beispiel nur Romanesk gesungen, obwohl ich die Sprache kaum verstehe.

Wählst du die Sprache je nach Land bewusst aus?

Leko: In Serbien kommt es besser an, wenn ich Englisch singe. Wahrscheinlich, weil es moderner wirkt. Serbisch singe ich wiederum eher in Wien. Wesentlich interessanter war aber das Feedback in Bezug auf den Jazz-Stil, den ich verfolge. Traditionelle Jazz-Lieder in ein modernes Gewand zu stecken kommt sehr gut an und hat eine originellere Prägung als der handelsübliche Balkanmix. Die Menschen schätzen unsere Kreativität und Risikobereitschaft. Genauso wie die Bereitschaft zu Emotionalität und zu Gefühlsausbrüchen, wenn uns auf der Bühne danach ist. (Eva Zelechowski, 4. August 2010, daStandard.at)