Der Biochemiker Wolfram Weckwerth erforscht Pappeln.

Foto: Uni Wien

Sein Motto "Mit den Elementen spekulieren" hat Wolfram Weckwerth aus dem Thomas Mann-Roman Doktor Faustus abgeschaut: "Die Chemie ist sehr modellhaft. Sich Bindungen, Atome und Strukturen aus Formeln zu erschließen braucht viel Vorstellungskraft, wiewohl sie unsere Welt gut beschreiben", findet der Biochemiker.

Mit seiner Spezialisierung auf Systembiologie überbrückt Weckwerth, Leiter des Departments für Molekulare Systematik (MoSys) an der Uni Wien, die lange währende Spaltung zwischen der organismischen Biologie und der Molekularbiologie. Nach seinem Chemiedoktorat an der Technischen Uni Berlin wechselte der 41-Jährige ans Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam. Dort wehte 2000 "die Pionierluft der Metabolomics", des Metabolic Profiling von Pflanzen.

Die vergangene Dekade stand für Weckwerth im Zeichen der Technologieentwicklung - dem Einfangen der Gesamtheit der Gene, der Proteine und der Stoffwechselprodukte einer Zelle oder eines Organismus und der sinnvollen Datenintegration. Die Genomsequenzierung schreitet voran: Von der Modellpflanze Arabidopsis thaliana über Reis, Weizen oder Mais bis zu einer Grünalge füllen sich die Datenbanken mit Sequenzen. Langfristig sollen Erbinformation und Stoffwechselprofil mittels funktionaler Genomik verknüpft werden.

Diese Arbeit gleicht derzeit dem Zusammensetzen eines Puzzles, von dem nur wenige Teile eine fixe Form haben. Mit der Sequenz wird eine Liste bereits bekannter Enzyme, Strukturproteine, Regulatoren etc. herausgefiltert, und dann beginnt das Spiel. Sein Department versucht Stoffwechselpfade vorherzusagen - mit allen Ausgangs- und Endprodukten, Enzymen und entstehenden Mengen - und diese mit den äußeren Bedingungen dynamisch zu modellieren. Den Citratzyklus etwa, mit dem viele Organismen Nährstoffe in Energie umwandeln, und der in Teilen bereits genetisch verortet ist. "Von Vorhersagen sind wir noch weit entfernt. Wir müssen noch alles experimentell validieren", räumt der gebürtige Berliner ein.

Weckwerth arbeitet mit der Pappel, die als Modellpflanze für nachwachsende Rohstoffe Furore macht. In ihren Wurzeln tummelt sich eine nützliche Bakteriengemeinschaft, die das Wachstum positiv beeinflusst. Die genaue Interaktion der einzelnen Bakterien untereinander und mit dem Baum, die involvierten Substanzen und ihren Einfluss auf das Wachstum will er längerfristig aufklären. "Man sieht sich die Sequenz an und sagt: Diese Pflanze ist ertragreich, hitzeresistent und bindet besonders gut CO2", beschreibt der Chemiker, der auch ein internationales Projekt zum Pflanzenimmunsystem im Rahmen des Genomforschungsprogramms GEN-AU des Wissenschaftsministeriums leitet. Derzeit steckt er in den Vorbereitungen für Österreichs erste Metabolomics-Konferenz (InMetA).

2008 entschied sich Weckwerth für Wien statt Michigan als Arbeitsort, weil die wissenschaftlichen Möglichkeiten enorm vielfältig seien und zudem Musik seine zweite Leidenschaft ist. Mit Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner und Mahler ist der passionierte Gitarrist schon lange vertraut - und inzwischen auch mit all ihren Wirkungsstätten rund um den Wienerwald. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 04.08.2010)