Seit Sonntag steht die "Kurier"-Redaktion unter der Führung von Helmut Brandstätter. Der frühere TV-Mann und PR-Unternehmer hat sich für seine neue Aufgabe ehrgeizige Ziele gesteckt, wie er im Interview erläuterte. So will er einen Newsroom für den "Kurier" bauen und die Chefredaktion erweitern. Selbst will Brandstätter nicht nur im Hintergrund aktiv sein, sondern als Blattmacher auch in Interviews und Kommentaren in der Zeitung präsent sein.

Kein richtiger Newsroom

Im "Kurier" braucht es mehr Kommunikation, findet Brandstätter: "Ressorts sind wichtig, weil wir dort Leute haben, die sich in ihren Themen sehr gut auskennen. Das muss man bewahren, aber die Kooperation kann besser werden. Es ist zweifellos eine Schwachstelle, dass es hier keinen richtigen Newsroom gibt." Dieses Manko wird der Chefredakteur beheben: Im selben Stock wie die Chefredaktion wird der Hauptproduktionsraum des "Kurier" zum Nachrichtenzentrum umgebaut, kündigte er an.

Auch wenn den Zeitungen durch minütlich aktualisierte Nachrichten im Internet die frühere Rolle als Nachrichtenüberbringer mehr und mehr abhandenkommt, will sich Brandstätter in dem Bereich nicht so ohne weiters geschlagen geben. Er lehnt einen rein "magazinigen" Ansatz für den "Kurier" ab. "Ich glaube, wir müssen da und dort 'newsiger' werden und mehr Neuigkeit herausholen." Außerdem will er "noch mehr Meinung sagen und vielleicht auch Meinung machen". Den breiteren, langsameren Magazinansatz für Tageszeitungen hält er eher "hin zum Wochenende" für tauglich.

Kommunikation mit Lesern

Grundsätzlich will Brandstätter verstärkt in Kommunikation mit dem Publikum treten: "Wenn heute Leser schreiben: 'Lassen Sie den armen Haider in Ruhe', sage ich: 'Ich kann ihn nicht in Ruhe lassen, weil er die österreichische Politik geprägt hat, weil sich viel durch ihn auch verändert hat.' Wir müssen uns anschauen, was daran gut ist und was nicht. In dieser unglaublich komplexen komplizierten Welt, wo man sich immer weniger auskennt, müssen wir Fakten berichten, aber auch eine Meinung dazu haben."

Dazu gehört auch künftig die Meinung des neuen Chefredakteurs, der bereits zum Einstand ein Editorial und einen Leitartikel ins Blatt hob: Bei einer Leserbefragung habe sich gezeigt, dass die Leute ihn immer noch sehr stark mit seiner Funktion mit dem ORF-"Report" verbinden, den Brandstätter jahrelang moderierte, so der neue "Kurier"-Chefredakteur. Mit ihm würden "immer noch Interviews und klare Ansagen" assoziiert. "Insofern gibt es eine sehr starke Erwartungshaltung, dass ich als Person regelmäßig auftauche. Das heißt, ich werde regelmäßig kommentieren, aber auch Interviews in der Zeitung machen." Auch die ORF-"Pressestunde" werde er besuchen, "wenn man mich einlädt".

Familienzeitung

Als Asset des "Kurier" sieht Brandstätter "nach wie vor die Marke". Eine wesentliche Stärke sei auch, dass der Name nach wie vor als Familienzeitung empfunden werde. "Ich glaube, dass sich viele zugehörig fühlen und dass es eine Nähe gibt." Dies manifestiere sich in der verständlichen Sprache, Journalisten, deren Meinung die Leser interessiere, und einer berichterstatterischen Breite über die klassischen Schwerpunkte Wirtschaft und Politik hinaus. "Wenn es etwa um neue Geräte geht oder um Kultur sind wir extrem gut. Auch den Sport finde ich nach wie vor sehr stark."

Layout wird überprüft

Das Layout der Zeitung findet der Neo-Chefredakteur ebenfalls gut, wiewohl er sich mit Helge Schalk den renommierten Art Direktor der "Presse" eingekauft hat. "Da haben wir sicher einen guten Griff gemacht", glaubt Brandstätter. Schalk werde "überprüfen, wo man etwas besser machen kann."

Als Sanierungsfall sieht Brandstätter den "Kurier" jedenfalls nicht, wie er betonte. Auch dass die Headhunter-Suche nach dem neuen Redaktionsleiter mit einem Sanierungsauftrag versehen war, stellt er entschieden in Abrede. "Das würde ja bedeuten, dass alles kaputt ist. Aber ein Überprüfen der Strukturen ist ein Thema. Das habe ich auch in der Redaktionsversammlung offen gesagt."

Kein Rückkehrrecht in Firma

Seine eigene berufliche Vergangenheit als PR-Berater hat Brandstätter vor seinem Antritt als neuer "Kurier"-Blattmacher geordnet abgeschlossen, betonte er. "Ich habe mich von meiner Firma endgültig getrennt, da gibt es auch kein Rückkehrrecht. Das gehört jetzt einem anderen und damit hat es sich." Seine ehemaligen Kunden wird Brandstätter auf einer Liste zusammenfassen und diese an seinen Stellvertreter übergeben. Über die Berichterstattung zu Ex-Kunden werde er außerdem keine Entscheidung treffen.

Obwohl er in seiner langen Karriere kaum Printerfahrung gesammelt hat, sieht sich der 55-Jährige im "Kurier"-Chefsessel am richtigen Platz: "Ich übertreibe nur wenig, wenn ich sage, dass ich ein Leben lang Journalist bin." Darüber hinaus habe er sich ausführlich mit Kommunikation beschäftigt und ein Buch zu dem Thema verfasst. "Das, was sich die Leute wirklich merken, sind Bilder und sind Geschichten. Das gilt in der Zeitung wie im Fernsehen." Bilder seien im Print immer wichtiger geworden, wie sich auch in traditionellen Verweigerermedien wie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zeige. Und: "Geschichten können wir noch mehr haben und mehr erzählen. Das ist das, wo alle Zeitungen wahrscheinlich noch besser werden können."

Lothar Matthäus auf der ersten Seite

Im Spannungsfeld zwischen Qualität und Boulevard, in das der "Kurier" traditionell eingeordnet wird, fühlt Brandstätter sich offenbar nicht unwohl: So hat er neben harten politischen Geschichten wie den angeblichen Liechtenstein-Konten Jörg Haiders oder einer ausführlichen Berichterstattung über die EU ("Qualität, Qualität, Qualität") auch die Ehe-Affäre des gehörnten deutschen Fußballtrainers Lothar Matthäus auf der ersten Seite platziert, wie er erklärt: "Das halte ich nicht für Boulevard, sondern das ist Gesprächsstoff." Viele Manager würden auch zur "Bunten" greifen, weil sie auch das wissen wollen. "Und eine gut gemachte 'Bunte' ist in dem Bereich auch Qualität."

Auch die Wien-Berichterstattung sei unter seinem Vorgänger Christoph Kotanko ausgebaut worden, so Brandstätter, der vor allem jüngere Leserschichten binden will: "Wir brauchen Schulen, Studenten, aber auch Lehrlinge. Es ist ein Riesenthema, an die Lehrlinge heranzukommen."

"Ostlastige" Zeitung

Der "Kurier" wird mitunter als "ostlastige" Zeitung wahrgenommen, dennoch will sich Brandstätter auch verstärkt um Rest-Österreich kümmern. "Wir werden als bundesweite Zeitung wahrgenommen, auch im politischen Bereich. Ich werde mich bemühen, dass wir in den Bundesländern mehr Leser bekommen, das ist überhaupt keine Frage." Die Leserzahlen und die verkaufte Auflage will er steigern, ohne konkrete Ziele zu nennen.

Auf der Suche ist Brandstätter noch nach einem Stellvertreter oder einer Stellvertreterin: "Es war der Rat meines Vorgängers Christoph Kotanko, dass ich noch einen stellvertretenden Chefredakteur brauche. Ich habe mich auf die Suche gemacht und wir werden in den nächsten zwei bis drei Wochen eine Entscheidung treffen." Mit dem kolportierten Personalwunsch Martina Salomon, derzeit Innenpolitikchefin in der "Presse", habe er neben anderen Kandidaten Gespräche geführt, bestätigte Brandstätter. "Sie ist eine davon." Unterschrieben habe aber noch niemand.

Äquidistanz

In Richtung Parteien und Eigentümer Raiffeisen betonte Brandstätter Äquidistanz: "Ich glaube, dass man dem 'Kurier' schon jetzt nicht nachweisen kann, für oder gegen eine Partei groß Position bezogen zu haben. Wenn aber beispielsweise eine Präsidentschaftskandidatin nicht mit der österreichischen Geschichte umgehen kann, dann werden wir das deutlich sagen. Auch wenn der Gesundheitsminister kein anständiges Rauchergesetz zusammenbringt, werden wir das ansprechen. Und wenn die Frau Innenminister glaubt, dass sie mit flapsigen Bemerkungen das Ausländerthema spielen kann, dann werden wir auch sehr deutlich darlegen, dass das nicht unsere Meinung ist."

Ängste, über den Eigentümer Raiffeisen zu berichten, hat Brandstätter ebenfalls nicht. "Wir berichten über Raiffeisen wie über andere Banken. Ich habe kürzlich zwei Bankmanager gefragt, ob sie den Eindruck haben, vom 'Kurier' schlechter behandelt zu werden. Beide haben 'Nein' gesagt." Das Thema werde es auf jeden Fall in der Zeitung geben. "Natürlich muss sich eine Wirtschaftsredaktion die Fusion genau anschauen und wenn der Aktienkurs in den Keller geht, werden wir nicht schreiben können: 'Das war sehr erfolgreich.'"

Acht Tageszeitungen in Wien

Dass die Halbwertszeit von Zeitungschefredakteuren in den vergangenen Jahren gesunken ist, glaubt auch Brandstätter. "Dass das natürlich kein gemütlicher Sessel ist, auf dem ich mich niederlasse, ist mir klar. Wir haben acht Tageszeitungen in Wien. Berlin ist ähnlich. Sonst gibt es kaum noch eine vergleichbare Stadt. New York hat zwei, Chicago eine."

Die oft herbeigeschriebene Lust von Brandstätter, es einmal als ORF-General zu versuchen - bei der letzten Wahl war er einer der zum Hearing geladenen Kandidaten - ist Brandstätter nach eigenen Angaben endgültig vergangen: "Das werden sich ein paar Parteisekretariate ausmachen. Viel Spaß." Der Parteizugriff sei seit der letzten Wahl schlimmer geworden, attestiert er dem Unternehmen. "Ich finde es ist eigentlich untragbar geworden, aber das werde ich nicht ändern." Ob er sich ein neues ORF-Volksbegehren vorstellen kann? Brandstätter skeptisch: "Diese Mischung aus Hilflosigkeit und Wut kann man nicht mehr kanalisieren. Viel eher stellt sich die Frage: Wie lange werden die Leute zahlen?" (APA)