Furchterregender Fund im Meer vor Australien: eine neue Drachenfischart, die Zähne auf der Zunge trägt

San Francisco - Bislang hat die Wissenschaft auf unserem Planeten ungefähr zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten bestimmt. Rund die Hälfte davon sind Insekten. Wie viele Arten es insgesamt sind, wurde bis vor kurzem auf zehn bis zwanzig Millionen geschätzt - eine zahl, die wohl nach oben korrigiert werden muss.

Denn allein in den Ozeanen leben vermutlich rund zehn Millionen verschiedene Arten, sagt der Biologe Pedro Martinez, Direktor des Forschungsinstituts Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven. Diese Zahl beruhe zwar auf einer Hochrechnung. Doch vor allem in der Tiefsee tue sich eine riesige Vielfalt auf. Noch in sieben Kilometern Tiefe etwa finden sich Fische - bei einem Druck, der viele U-Boote zerquetschen würde wie eine Dampfwalze eine Coladose.

Foto: Julian Finn, Museum Victoria

Bathycyroe fosteri, eine offenbar weit verbreitete Rippenqualle aus mittleren Meerestiefen

Am meisten verschiedene Meerestiere leben in den Gewässern rund um Japan und Australien. In beiden Seegebieten kommen jeweils rund 33.000 verschiedene Arten vor, berichten Forscher der bisher größten Volkszählung in den Meeren, des Census of Marine Life. Diese Erhebung kommt zwar erst Anfang Oktober zu ihrem vorläufigen Höhepunkt - aber schon jetzt ist ein Großteil der Resultate in mehreren Untersuchungen im online-Journal "PloS One" nachzulesen. An der Zählung sind inzwischen rund 2000 Forscher aus etwa 80 Ländern beteiligt.

Foto: MAR-ECO/Marsh Youngbluth

Actinoscyphia, die "Venusfliegenfallen-Anemone", wurde in 1.500 Metern Tiefe im Golf von Mexiko gefunden

Das Meer um China, der kürzlich durch Öl verseuchte Golf von Mexiko und das Mittelmeer gehören ebenfalls zu den Top 5 der Rangliste. Fische sind dabei zwar die bekanntesten, aber bei weitem nicht die häufigsten Lebewesen. Diese Rolle fällt den Krebstieren zu: Shrimps, Hummer, Krabben, Krill, Seepocken und andere Vertreter kommen auf 19 Prozent des Arteninventars.

Foto: I. MacDonald

Histioteuthis bonellii, eine Kalmar-Art, die am Mittelatlantischen Rücken in 500 bis 2.000 Metern Tiefe gefunden wurde

Weichtiere wie Tintenfische, Muscheln und Schnecken stellen 17 Prozent, und erst dann kommen mit zwölf Prozent die Fische. Darauf folgen Einzeller, Algen, Ringelwürmer und weitere Organismen. Zu den bisherigen Neuentdeckungen gehören ein Urzeit-Krake, feengleiche Meeresschnecken, riesige Einzeller und besonders hitzeresistente Muscheln.

Foto: David Shale

Weibliches Exemplar von Gaussia princeps, eines Ruderfußkrebses aus der Tiefsee

Nie zuvor ist die Frage "Was lebt im Meer?" so genau beantwortet worden. Und nie zuvor gab es so viel Grund zur Sorge, denn der Mensch bedroht die Vielfalt massiv. "Das Meer ist in Schwierigkeiten", sagt Nancy Knowlton von der Smithonian Institution in Washington, Leiterin der Arbeitsgruppe für die Riffe. "Ihre Bewohner haben in keinem nationalen oder internationalen Gremium Sitz oder Stimme, aber sie leiden, und müssen gehört werden."

Foto: Hopcroft/UAF/CMarZ

Lambis chiragra aus der Familie der Flügelschnecken, gefunden in China

Die größte Bedrohung geht von der Überfischung der Meere aus, die seit vielen Jahren im Detail bekannt ist. Der Verlust der Lebensräume, einwandernde Arten, Verschmutzung, Überdüngung, Sauerstoffmangel, Verklappung von Müll oder die Versauerung der Meere sind weitere Probleme.

Bei aller Mühe und der bisher zehnjährigen Arbeit ist die Volkszählung aber nur ein Beginn. Anfang Oktober wird der Katalog wissenschaftlich bekannter Arten voraussichtlich 230.000 Einträge umfassen - vom Einzeller bis zum Blauwal. Bis zu den zehn Millionen geschätzten Arten fehlt dann noch ein bisschen. (dpa, tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 8. 2010) 


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Abstract

Foto: Shaoqing Wang/Census of Marine Life