Bischof Klaus Küng warnt vor "dem Missbrauch mit dem Missbrauch", die Kirche dürfe hier nicht nachgeben.

Foto: Robert Newald/DER STANDARD
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"Die katholische Kirche war schon mindestens 30-mal am Hund. Doch gestorben ist letztlich immer der Hund."

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Küng (hier mit Kardinal Christoph Schönborn, li.): "Es wird versucht, alles der Kirche zuzuschieben. Und wir sind derzeit dazu geneigt, sehr viel an Schuld auf uns zu nehmen."

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STANDARD: Herr Bischof, befindet sich die katholische Kirche in einer Existenzkrise?

Küng: Ich sehe sie sicher schmerzhaft durchlebt, wenn ich mir anschaue, was in den letzten Monaten vorgefallen ist. Gleichzeitig bin ich immer Optimist. Es gibt ein Zitat, das besagt: "Die katholische Kirche war schon mindestens 30-mal am Hund, gestorben ist aber letztlich immer der Hund." Es schaut manchmal dramatisch aus, aber dann entsteht auf einmal mitten aus den großen Schwierigkeiten eine Fruchtbarkeit.

STANDARD: Ihren Optimismus in Ehren, aber wird es nach dem Missbrauchskandal und dem zu erwartenden Rekord an Kirchenaustritten nicht schwer zu einer Glaubwürdigkeit zurückzukommen?

Küng: Ich sehe eine ganz große Dringlichkeit eines Neuanfangs. Wir brauchen eine größere Authentizität in der Seelsorge und im kirchlichen Leben. Der Grundtenor ist: Dort, wo die Freude des Glaubens hörbar ist, gibt es auch Anziehungskraft.

STANDARD: Müsste man als Kirche gerade in der jetzigen Situation nicht viel offensiver auf die Menschen zugehen?

Küng: Auf jeden Fall. Da ist etwa Johannes Paul II. ein ganz großes Vorbild. Er hat eine Art Mobilisierung in der ganzen Welt erreicht. Bei seinem Tod sind innerhalb einer Woche fünf Millionen Menschen nach Rom gekommen.

STANDARD: Wie müsste die Offensive konkret in Österreich aussehen?

Küng: Wir müssen einfach falsche Hemmungen überwinden und auf die Menschen viel direkter zugehen. Man kann durch Großevents die Jugend einladen, den Weg mit uns zu gehen. Aber wichtiger ist, dass jeder einzelne Christ sich verantwortlich fühlt.

STANDARD: Waren Sie mit dem Weg von Kardinal Christoph Schönborn im Umgang mit den Missbrauchsfällen bisher zufrieden?

Küng: Ich bin noch immer nicht zufrieden mit der Diskussion, wie sie läuft. Allgemein, nicht nur in der Bischofskonferenz. Wir leben in einer so hochsexualisierten Gesellschaft. Erotik-Messen, kaum Filme ohne sexuellen Inhalt. Das ist ein Aspekt, der viel zu wenig in der Gesellschaft diskutiert wird - auch wenn Missbrauch natürlich viel komplexere Ursachen hat.

STANDARD: Womit Sie elegant meiner Frage ausgewichen sind. Sind Sie mit dem Weg des Kardinals zufrieden?

Küng: Es sind richtige Akzente gesetzt worden. Und mir liegt es fern, den Herrn Kardinal zu kritisieren. Aber bei einigen Dingen reagiere ich dennoch mit Zurückhaltung.

STANDARD: Welche Dinge konkret?

Küng: Ich warne vor dem Missbrauch mit dem Missbrauch. Es wird versucht, alles der Kirche zuzuschieben. Und wir sind derzeit dazu geneigt, sehr viel an Schuld auf uns zu nehmen. Auch wenn es der Kardinal sicher gut meint. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel, Missbrauch ist aber eben kein Problem der Kirche allein. Und manche, auch kirchenintern, meinen, sie könnten die Missbrauchsdebatte dazu benutzen, die Kirche unter Druck zu setzen, um so Reformen einzuleiten.

STANDARD: Dem Vernehmen nach waren Sie innerhalb der Bischofskonferenz ein vehementer Gegner des Maßnahmenpakets zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch. Warum?

Küng: So stimmt das nicht. Ich bin sicher kein Gegner. Und ich stehe voll hinter dem Beschluss der Bischofskonferenz. Ich habe nur in manchen Dingen versucht, das Maß der Gerechtigkeit und Klugheit hineinzubringen. Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung, dass jetzt große Gremien die Garantie für Effizienz sind. Fraglich ist unter anderem, ob es eine zusätzliche Anlaufstelle für Missbrauchsopfer braucht.

STANDARD: Sie sind gegen die Opferanwaltschaft unter der Leitung der früheren steirischen Landeshauptfrau Klasnic?

Küng: Ich schätze Frau Klasnic und respektiere auch die Arbeit der Kommission. Ich gebe aber zu bedenken, dass jede zusätzliche Stelle die Aufarbeitung der Fälle verlängert. Wir haben bereits in jeder Diözese eine Ombudsstelle, und das ist auch gut so. Es braucht nicht für jede Sache fünf Kommissionen.

STANDARD: Wie stehen Sie zu Entschädigungszahlungen für Opfer kirchlichen Missbrauchs?

Küng: Prinzipiell glaube ich, dass der Täter für entsprechende Zahlungen aufkommen muss. Aber wir müssen aufpassen und dürfen nicht so großzügig die Hände aufmachen und sagen, wir zahlen alles. Damit setzen wir andere Länder, wie etwa Deutschland, unter Druck. Und man hat ja in Amerika gesehen, was passieren kann, wenn die Kirche bereit ist, alles zu zahlen. Dort sind letztlich dann Diözesen in Konkurs gegangen.

STANDARD: Verstaubte Sexualmoral, intransparente Strukturen, rückständiges Gesellschaftsbild - warum sollte ein junger Mensch sich in der Kirche engagieren?

Küng: Gerade bei der Jugend geht es doch darum, bewusst zu machen, warum wir eigentlich da sind. Die Gottesfrage ist auch bei den jungen Menschen die zentrale Frage des Lebens. Um glücklich zu werden, sind bestimmte Wege grundlegend, und das wissen auch junge Menschen.

STANDARD: Eisern hält die katholische Kirche am Kondom-Verbot fest. Wie soll so etwas ein aufgeklärter Mensch von heute verstehen?

Küng: Ich habe im Lauf der Jahre die Erfahrung gemacht, dass auch junge Menschen durchaus empfänglich für das sind, was zur wirklichen Liebe führt. Beim Thema Aids wird die Kirche wegen der Kondomfrage gerne heftig attackiert, dabei leistet die Kirche tagtäglich Großes im Kampf gegen Aids. Derzeit geschieht gut 50 Prozent der gesamten Aidshilfe durch christliche Kirchen. Und in Einzelfällen, etwa in der Ehe, wenn sich ein Partner infiziert hat, kann es erlaubt oder sogar geboten sein, ein Kondom zu verwenden.

STANDARD: Auf Reformverweigerung schaltet die Kirche stets beim Thema Zölibat. Warum?

Küng: Ich bin davon überzeugt, dass der Zölibat als Voraussetzung für die Priesterweihe etwas Wertvolles ist. Es gibt kein stärkeres Zeichen für Gott und für die Liebe zur Kirche als den bewussten Verzicht auf Ehe und Familie. Und: Ein Priester nimmt den Zölibat aus freier Wahl auf sich, sonst darf ich ihn gar nicht weihen.

STANDARD: Es gibt verheiratete katholische Priester, Priester in geheimer Lebensgemeinschaft. Sie als Bischof wissen wahrscheinlich von solchen Fällen, müssen aber wegschauen. Ist das nicht scheinheilig?

Küng: Sicher. Wir müssen in allen Bereichen bemüht um Authentizität sein. Was nicht bedeutet, dass wir fehlerfrei sind. Das sind nur Christus und seine Mutter Maria.

STANDARD: In einem Interview mit der deutschen katholischen Zeitung "Die Tagespost" haben Sie angemerkt, in Priesterseminaren und Teilen des katholischen Klerus gebe es "homosexuelle Netzwerke". Diese könnten ein Kloster oder eine Diözese "sogar existenziell" bedrohen. Worin liegt konkret für Sie die Bedrohung?

Küng: Das Problem ist, dass einer den anderen anzieht. Dadurch kann eine bestimmte Atmosphäre an einem Ort entstehen, etwa in einem Kloster, die manche anzieht, andere sich aber nicht so wohlfühlen lässt.

STANDARD: Worauf fußt Ihre Analyse, bzw. wo haben Sie solche Wahrnehmungen gemacht?

Küng: Es kommt einfach vor, und ich habe da schon große Sorge.

STANDARD: Wo konkret?

Küng: Natürlich habe ich das auch 2004 hier in St. Pölten im Rahmen meiner Visitation erlebt.

STANDARD: Sie erwähnten in Zusammenhang mit den "homosexuellen Netzwerken" eine radikale Lösung. Wie sollte diese aussehen?

Küng: Wenn ich feststelle, dass so etwas in einem Kloster oder einem Seminar überhandnimmt, kann ich es nur zusperren.

STANDARD: Also keine Aufnahme von schwulen Kandidaten ins Priesterseminar?

Küng: Wenn jemand wirklich von Jugend an tief homosexuell geprägt ist, dann ist eine Aufnahme unmöglich.

STANDARD: Sie feiern dieses Jahr Ihren 70er. Denken Sie nicht manchmal: Das hätte auch ganz anders aussehen können? Etwa mit Frau und Kindern?

Küng: Ich hätte ja um ein Haar geheiratet und habe als Arzt praktiziert. Doch da kam meine Berufung dazwischen. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD-Printausgabe, 3.8.2010)