Der Rankenfußkrebs Dosima fascicularis

Foto: Universität Wien

Wien - Für die Schiffahrt sind sie ein Gräuel: Tiere, die sich unter der Wasserlinie in großer Zahl an Schiffsrümpfe kleben, in ihrer Summe den Strömungswiderstand erhöhen und damit erhöhte Treibstoffkosten verursachen. "Fouling" heißt eine derartige Kolonisierung durch verschiedenste Muschel- und Krebsarten und soll durch spezielle Anstriche verhindert werden. An der Entwicklung immer besserer Antifouling-Wirkstoffe wird eifrig geforscht.

Wiener Forscher richteten den Fokus in die andere Richtung: Sie interessiert die Frage, wie genau die Tiere zu ihrer famosen Haftkraft kommen - immerhin hat man es hier mit einem natürlichen Superkleber zu tun, der nicht nur überaus stark ist, sondern auch unter Wasser hält. Wissenschafter um Waltraud Klepal von der Core Facility für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien untersuchen Tiere aus der Gruppe der Rankenfußkrebse, zu denen auch die bekannten Entenmuscheln und Seepocken zählen; im speziellen geht es in dem Projekt um die sogenannte "Gestielte Meereichel" (Dosima fascicularis).

Der "Zement"

Diese besiedelt nicht nur feste Objekte wie Schiffsrümpfe oder Bojen - manchmal kleben sich mehrere erwachsene Tiere zusammen und lassen sich als lebendes Floß durchs Meer treiben. Für den dabei genutzten Klebstoff hat sich der Name "Zement" eingebürgert. Um zu verstehen, wie diese Krebsart den Zement produziert, durchleuchtet Klepal die Tiere bis auf die kleinste Zelle: "Mit dem Elektronenmikroskop untersuchen wir die Zementdrüsen, das ausleitende Gangsystem und den Zement innerhalb und außerhalb der Zelle." Mit Semidünnschnitten von einem halben bis einem Mikrometer Dicke sowie Ultradünnschnitten von nur 60 bis 70 Nanometern erforscht das Team die Zementzelle im Detail.

"Der weiche Zement erhärtet, sobald er nach außen gelangt - ähnlich einem Superkleber", erklärt Projektmitarbeiterin Vanessa Zheden. Nicht viele Klebstoffe sind bekannt, die im Wasser erhärten. Wodurch der Zement aushärtet, ist deshalb eine zentrale Frage des Projekts. "Handelt es sich um einen Zwei- oder Ein-Komponentenkleber, einen Reaktionsklebstoff - der eine chemische Reaktion zur Aushärtung benötigt -, eine Dispersion oder einen physikalisch abbindenden Klebstoff", fasst Klepal die  Möglichkeiten zusammen.

Anwendungsmöglichkeiten

Sobald die Zusammensetzung des natürlichen Klebstoffs bekannt ist, kann er auf synthetischem Weg hergestellt werden. Neben der Zahnmedizin ist der Zement auch für die Allgemeinmedizin, die Chirurgie sowie die Tiermedizin interessant. "Der Klebstoff könnte bei der Heilung von Schnittwunden die Nähte oder bei Knochenbrüchen Nägel und Schrauben ersetzen", so die Forscherin. Da der Klebstoff besonders widerstandsfähig, elastisch und komprimierbar ist, könnte er aber auch in Industrie und Technik - unter anderem für Unterwasserkonstruktionen - Anwendung finden.

Während man sich an der Uni Wien Wien um die Morphologie - Struktur und Form - der Tiere und deren Klebstoff kümmert, untersuchen Kooperationspartner am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen den biochemischen Aufbau des Zements. Die Histochemie (Identifikation von chemischen Gruppen und Komponenten) wird an der National University of Ireland durchgeführt. Das vom Wissenschaftsfonds (FWF) unterstützte Forschungsprojekt ist bis 2012 anberaumt. (red/APA)