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Dirk Niebel bei einem Besuch in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Sein Konzept der "vernetzten Sicherheit" in Afghanistan wurde als Versuch kritisiert, Entwicklungsarbeit unter militärische Prämissen zu stellen. Niebel: "Seien Sie versichert, dass ich die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der NROs nicht in Frage stelle."

 

 

 

 

 

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Skeptisch beäugt wurde Niebel nach seinem Amtsantritt als Entwicklungsminister. Nicht zuletzt deshalb, weil ihm nachgesagt wurde, er wolle dieses Ministerium am liebsten abschaffen. Niebel: "Das stimmt nicht: Ich habe diesen Satz nie gesagt und Sie werden dazu kein wörtliches Zitat von mir finden."

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Dirk Niebel und Entwicklungshilfe? Nein, das passt eher nicht, lautete der Tenor nach dem Amtsantritt des früheren FDP-Generalsekretärs zum Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Oktober 2009. Niebel, dem zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP die Äußerung angeheftet wurde, er wolle das Entwicklungsministerium am liebsten abschaffen, fand sich plötzlich als Minister an dessen Spitze wieder. Viele Kommentatoren in Deutschland hielten das für einen schlechten Witz. Niebel musste viel Spott ertragen und gegen Misstrauen ankämpfen - auch im eigenen Haus.

Inzwischen kann ihm mangelnder Eifer im Amt nicht nachgesagt werden. Vor der ersten Sommerpause der schwarz-gelben Koalitionsregierung konnte Niebel mit dem Beschluss zur Zusammenlegung von drei Entwicklungsorganisationen einen Etappenerfolg verbuchen auf dem Weg, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit neu zu strukturieren. Angesichts der stotternden Performance der Bundesregierung in den vergangenen Monaten ist das fast schon ein bemerkenswerter Erfolg.

Im derStandard.at-Interview verteidigt Dirk Niebel, dass das Budget der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im nächsten Jahr nicht steigen wird und damit die auch das Ziel, bis 2015 mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts in die Entwicklungshilfe zu stecken, immer schwieriger zu erreichen sein wird. Niebel erklärt, wie er sich das vielkritisierte Konzept der "venetzten Sicherheit" in Afghanistan vorstellt und wie es zu der Aussage kam, er wolle sein eigenes Ministerium abschaffen.

Gerne hätten wir mit Dirk Niebel über die ihm von Israel im Juni verweigerte Einreise in den Gaza-Streifen und die darauf gefolgten diplomatischen Verstimmungen gesprochen. Auch zu seiner von vielen Seiten kritisierten Personalpolitik im eigenen Ministerium, die schlechte Performance der schwarz-gelben Bundesregierung und die desaströsen Umfragewerte der FDP hätten wir Niebel gerne befragt. Leider brach Dirk Niebel das telefonische Interview mitten im Gespräch ab. Wie es dazu kam, lesen Sie hier.

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derStandard.at: Die Finanzplanung der Bundesregierung sieht vor, den Etat der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im nächsten Jahr einzufrieren. Danach soll er sogar sinken. Wenn man sich solche Planungen auch immer als Kampf unter den einzelnen Ressorts um ihren Anteil am Haushaltskuchen vorstellt, dann muss man sagen: Da haben sie nicht erfolgreich gekämpft.

Dirk Niebel: Einspruch. Das war ein großer Erfolg. Wir haben jetzt den gleichen Etat, wie im Jahr zuvor. Fast alle anderen Ressorts müssen Einsparungen vornehmen. Durch den Beschluss der Zusammenlegung der drei Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit erwarten wir außerdem eine Fusionsrendite.

derStandard.at: Dennoch scheint damit das Versprechen, bis 2015 mindestens 0,7 Prozent des deutschen Bruttonationalprodukts (BNP) in die Entwicklungshilfe zu stecken, in noch weitere Ferne zu rücken. Im vergangenen Jahr waren es 0,35 Prozent, in diesem Jahr werden es vielleicht 0,4. Bleibt die Marke 0,7 Prozent ihr Ziel und wie wollen Sie das erreichen?

Niebel: Die Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zum 0,7-Prozent-Ziel. Das Ziel bleibt und ich halte es auch für richtig und wichtig. Ich sage aber auch, dass die Zielerreichung sehr sportlich wird. Deshalb müssen wir weitere Instrumente finden, um uns diesem Ziel zu nähern. Maßnahmen, die ohne Steuererhöhungen auskommen. Beispielsweise aus dem Handel mit Emissionszertifikaten, von dessen Erlösen ja auch 50 Prozent in die Entwicklung fließen sollen. Oder auch durch Fonds, in die Privatpersonen einzahlen können.

derStandard.at: Bedeutet das eine Privatisierung der Entwicklungszusammenarbeit?

Niebel: Nein, das ist keine Privatisierung. Aber Entwicklungszusammenarbeit ist ohne privates Engagement gar nicht möglich. Allein für Haiti kamen aus Deutschland etwa 200 Millionen Euro an privaten Hilfsgeldern zusammen.

derStandard.at: Sie oder auch die Kanzlerin betonen regelmäßig, wie wichtig die Entwicklungshilfe für die schwachen Länder sei. Aber wenn es darauf ankommt, streitet man sich um Zehntelstellen hinter dem Komma. Das ist doch verlogen.

Niebel: Deutschland ist der drittgrößte bilaterale Geber in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist nicht verlogen. Unser Ziel ist aber auch, unsere Partnerländer zu befähigen, sich selbst zu entwickeln. Und dafür ist es wichtig, Geld für Entwicklungsprojekte zielgerichtet einzusetzen.

derStandard.at: Sie kennen sicher den Satz, Geld allein macht auch nicht glücklich. Immer wieder ist von gescheiterten Entwicklungsprojekten zu lesen und zu hören, die nichts oder nur sehr wenig bringen. So beispielsweise die Wasserkraftwerke im afghanischen Mahipar und Sarobi. Muss man die Bevölkerung da nicht stärker einbinden und stärker vor Ort fragen, was sie eigentlich braucht?

Niebel: Ich bin erst seit acht Monaten im Amt. Das sage ich wegen der Zuordnung bestimmter Projekte, die lange vor meiner Zeit geplant und aufgebaut wurden. Wir finanzieren ja nicht bestimmte Projekte, nur weil es uns gefällt. Die Projekte in Afghanistan beispielsweise sind Teil eines Entwicklungsplans, den wir gemeinsam mit der Partnerregierung entworfen haben.

Der Partner schlägt dabei vor, wo etwas getan werden sollte, wir bringen unsere Kompetenzen ein und die örtliche Bevölkerung sitzt selbstverständlich auch mit im Boot. Dass es immer jemanden gibt, der etwas anderes haben will, ist aber auch klar.

derStandard.at: Sie haben angekündigt, die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan stärker mit der dortigen militärischen Präsenz zu verzahnen. Das hat Ihnen Kritik von Oppositionspolitiker und den Hilfsorganisationen eingebracht: Entwicklungszusammenarbeit solle doch vor allem in Regionen stattfinden, die bereits befriedet sind und nicht dort, wo die Kriegshandlungen andauern.

Niebel: Unser Konzept ist das einer vernetzten Sicherheit. Für die bevorstehende Friedensdividende und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung braucht es ein Minimum an Sicherheit. Die kann man aber nicht durch Entwicklung einkaufen. Fakt ist: Es wird keine "embedded Entwicklungshelfer" geben, es werden keine Soldaten bei den Bohrlöchern für Brunnen stehen und es wird vor allem keine Unterordnung der Hilfsorganisationen unter das Militär geben.

Seien Sie versichert, dass ich die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der NROs (Nichtregierungsorganisationen, Anm.) nicht in Frage stelle. Im Interesse der Wirksamkeit unserer Zusammenarbeit in Bereichen, in denen die staatliche und nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit an gemeinsamen Zielen arbeitet, sind Kooperation und Koordinierung aber unerlässlich. Sie bilden die Voraussetzung für den Erfolg unserer Maßnahmen und damit auch der aus Steuermitteln finanzierten Projekte. Selbstverständlich kann auch weiterhin jede Organisation mit ihren eigenen Mitteln in allen Gebieten Projekte betreuen.

derStandard.at: Zuletzt konnten Sie einen Erfolg verbuchen, indem sie den Plan, drei Entwicklungsorganisationen unter einem Dach zusammenzufassen, durchs Kabinett brachten. Wenn dabei wie geplant alle Standorte mit allen dortigen Mitarbeitern erhalten werden sollen, worin genau besteht denn jetzt der "epochale Wechsel" bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, von dem Sie sprachen?

Niebel: Der Wechsel besteht darin, dass wir Doppel- und Dreifachstrukturen abbauen. Die Partnerländer arbeiten derzeit mit zu vielen verschiedenen deutschen Ansprechpartnern zusammen. Es gibt in diesem Bereich ohnehin zusätzlich eine große personelle Fluktuation. Mir geht es darum, die politische Steuerungsfähigkeit auszubauen – auch bei der Durchführung von Projekten. Wir haben uns da in der Vergangenheit oftmals verzettelt. Ich möchte dieses System gerade rücken. Es soll ein Agenda Setting ermöglichen und helfen, politische Vorgaben und Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit besser umzusetzen.

derStandard.at: Kritiker verdächtigen Sie, mit der Reform mehr direkten Zugriff auf die Entwicklungsorganisationen bekommen zu wollen und den Fokus der Zusammenarbeit nicht auf die Interessen der Entwicklungsländer, sondern auf die der deutschen Exportwirtschaft zu verlegen.

Niebel: Das ist völliger Unsinn und eine Unverschämtheit. Es kann keine Dynamik in einem Land geben ohne wirtschaftliche Entwicklung. Wir möchten Projekte initiieren, die für nachhaltiges Wachstum sorgen. Damit meine ich den Aufbau einer funktionierenden Wertschöpfungskette im Land selbst.

derStandard.at: Der einzige Satz von Ihnen, der vor Ihrer Ernennung zum Entwicklungsminister zum Thema Entwicklungshilfe überliefert wurde, war der, dass sie das Entwicklungsministerium am liebsten abschaffen würden. Haben Sie Ihre Meinung inzwischen geändert?

Niebel: Das stimmt nicht: Ich habe diesen Satz nie gesagt und Sie werden dazu kein wörtliches Zitat von mir finden. Richtig ist, dass ich als Generalsekretär der FDP verantwortlich für unser Wahlprogramm war. Und darin stand, dass wir bestimmte Kompetenzen von Außen- und Entwicklungsministerium zusammenlegen wollen, damit das Entwicklungsministerium nicht zu einer Art "Neben-Außenministerium" wird. Diese Gefahr ist nun nicht mehr gegeben, da sich beide Ministerien untereinander abstimmen. Das garantiert einen einheitlichen Außenauftritt Deutschlands und erhöht die Verlässlichkeit. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 5.8.2010)