Henri Matisse' „Odalisques jouant aux dames": ein farbenprächtiges Werk, das sich der griechische Sammler Dimitri Mavrommatis zum Limit von 11,8 Millionen Pfund (14,14 Mio. Euro) sicherte.

Foto: Sotheby’s

Die im vergangenen Jahr zur gleichen Zeit für London und New York gezogene Zwischenbilanz hätte im Fahrtwind der Wirtschaftskrise nicht deutlicher sein können. Nach Jahren permanenter Zuwächse stand die Rekordmaschinerie plötzlich still, die Umsätze schrumpelten gewaltig: Bei Christie's von 3,5 (2008) auf 1,8 Milliarden Dollar und damit um satte 49 Prozent.

Noch dramatischer präsentierten sich die Quartalsergebnisse bei Sotheby's, wo sich die Betriebseinnahmen nach drei Monaten um 58 und nach sechs Monaten um 48 Prozent verringerten. Nach weiteren drei Monaten belief sich der Nettoverlust bei Sotheby's auf etwas mehr als 80 Millionen Dollar, während man im Vergleichszeitraum 2008 noch ein Nettoeinkommen von 35,8 Millionen vermeldet hatte. Bis zum Ende des Jahres welkte der Gesamtumsatz bei Sotheby's auf 2,8 Milliarden Dollar (2008: 5,3 Mrd. Dollar) oder um 47 Prozent, jener bei Christie's um 35 Prozent auf 3,3 Milliarden Dollar.

Vergleichbares Zahlenmaterial aus dem laufenden Geschäftsjahr wird erst in den nächsten Wochen veröffentlicht. Ganz ohne prophetische Übungen steht bereits fest, dass die Einspielergebnisse zur Halbzeit insgesamt über jenen des Vorjahrs liegen. Denn das Auktionsjahr war noch keine fünf Wochen alt, da gab es die erste Attraktion. Und ein bis in den letzten Winkel des Marktes hörbares Aufatmen der Branche.

Innerhalb von acht Minuten bügelte Alberto Giacomettis bei Sotheby's ausgebotener L'homme qui marche diverse Sorgenfalten aus den Mienen pessimistischer Brancheninsider. 65 Millionen Pfund (104,32 Mio. Dollar) markierten den neuen jemals in einem Auktionssaal erzielten Höchstwert weltweit. Mit einem Abendtotal von 146,82 Millionen Pfund beanspruchte Sothebys zudem einen Umsatzrekord auf Londoner Territorium für sich.
Vorläufig, denn im Zuge der Impressionist-Auktionen im Juni räumte Christie's (152,6 Mio. Pfund) nicht nur diesen Titel ab.

London vor New York

Am Umsatz bemessen, gewann London seit Anfang des Jahres massiv an Bedeutung: Das Wertvolumen der zehn höchsten Auktionszuschläge (siehe Tabelle) schwoll gegenüber dem Rekordjahr 2008 um 35 Prozent, gegenüber dem Vorjahr sogar um 246 Prozent (!) auf stolze 249,66 Millionen Pfund. Das ist umgerechnet mehr, als die Topprotagonisten mit 364,04 Millionen Dollar - gegenüber 2009 ein Zuwachs von stolzen 308 Prozent (vgl. 2008: minus 7,5 Prozent) - in New York auf die Waage brachten. Auch trotz erheblicher Währungsschwankungen in den letzten sechs Monaten: 249,66 Millionen Pfund entsprachen am 1. Jänner umgerechnet 402,35 Millionen Dollar, am 1. Juli dann nur mehr 372,33 Millionen.

Spätestens am 4. Mai aber war die Sensation perfekt: Einem hartnäckigen Bieter war der aus der Sammlung Brody stammende Picasso (Nude, Green Leaves and Bust, 1932) stolze 106,48 Millionen Dollar wert, womit nun Christie's New York den Titel für den höchsten Zuschlag in einer Auktion weltweit hält. Zudem darf sich das Unternehmen sieben der zehn in New York erzielten Spitzenwerte an die Fahnen heften, während Sotheby's stärker als in den Vorjahren am Marktplatz London zu punkten verstand.
Und erstmals in der Geschichte verzeichnete der Kunstmarkt innerhalb eines Halbjahres - Giacometti, Picasso und ihren Käufern sei Dank - einen neunstelligen Dollar-Doppelpack. (Olga Kronsteiner/ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 31.07/01.08.2010)