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 "Erinnern Sie sich, wie Sie hierher gekommen sind?" So lautet eine der Fangfragen in Christopher Nolans Inception, dem seit Avatar wohl am ungeduldigsten erwarteten (und mit entsprechender Geheimnistuerei begleiteten) Hollywood-Blockbuster. Wer sich nämlich nicht erinnert - und die wenigsten tun das in diesem Film -, der befindet sich mit großer Sicherheit in einem Traum. Es muss nicht sein eigener Traum sein, es kann ein fremddesignter Traum sein, dazu entworfen, dem Träumenden ein Geheimnis zu entlocken. Es kann überdies sein, dass man aus dem Traum nie richtig erwacht, von Traum zu Traum übertritt oder sich ganz im Limbo des Unbewussten verliert.

Computerspiel

Inception ist wie eine solche Traum-im-Traum-Anordnung gebaut, ein Film ohne eindeutigen Beginn und mit äußerst ambivalentem Ende - eine Mise en abyme, die wie ein Computerspiel fortlaufend ihre Ebenen wechselt. Christopher Nolan, der britisch-amerikanische Tüftler unter den Hollywoodregisseuren, hat sich schon immer für solche narrativen Verwirrspiele begeistert (und demgegenüber psychologische Motivationen vernachlässigt). Mit dem neuen Projekt, seinem seit dem Debüt Following ersten allein verfassten Drehbuch, wuchsen die Ambitionen besonders rasant in die Höhe. Das Resultat ist ein maßloser Film, der mitunter zu viel auf einmal will, aber gemessen an den kreativ engen Begrenzungen vergleichbarer US-Produktionen (über 200 Mio. Dollar Budget) über visuelle Sensationen verfügt, die Raum- und Zeitachsen auf schwindelerregende Weise durcheinanderwirbeln.

Actionfilm, Spionagethriller und Drama

Die amphibische Qualität von Inception ist aber nicht nur produktionsbedingt - ein Blockbuster, der Autorenschaft beansprucht -, sondern tritt auch im Inneren als Spannung auf, wenn der Film zugleich Actionfilm, Spionagethriller und Drama eines traumatisierten Helden sein will, der mit den eigenen Phantomen einen Kampf austrägt. Vor allem letzterer Aspekt erinnert durch den gemeinsamen Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio an Martin Scorseses Shutter Island, dem die Verquickung persönlicher und kollektiver Traumata allerdings überzeugender gelang.
Fremde Idee im Kopf

In Inception wirkt das Unbewusste wie ein Virus, das die Träume mit unverarbeiteten Urszenen verunreinigt und gefährliche Projektionen hervorbringt. Da es aber die Aufgabe des Industrie-Spions Dom Cobb (DiCaprio) ist, Träume anderer zu durchforsten, wird ihm seine labile Verfassung immer mehr zum Hindernis. Zumal die zentrale Aufgabe noch dadurch erschwert wird, dass der Erbe eines Großindustriellen (Cilian Murphy) nicht beklaut, sondern mit einer fremden Idee im Kopf ausgestattet werden soll.

Kompliziert

Klingt kompliziert, und ist es auch. Deswegen verfügt der Film über einen etwas trägen Beginn, in dem man dem zentralen Trupp - neben DiCaprio agieren Ken Watanabe, Ellen Page und Joseph Gordon-Levitt - dabei zusieht, wie sie nerdhaft ihr Handwerk darlegen, beziehungsweise Page als Traum-Architektur-Novizin erste Entwürfe anfertigt, die wie Trailer auf das Kommende verweisen. Ein Pariser Straßenzug klappt etwa wie ein Vexierbild auf und zu, wuchert fröhlich in Gedanken - den Hauch der Angeberei, der diesen Bildern zu eigen ist, liefert die Szene praktischerweise gleich mit.

Die auf den Menschen angewandte Traumfahrt gerät indes zum Höhepunkt des Films. Die unterschiedlichen Handlungsräume - eine Entführung samt Autoverfolgungsjagden, Faustkämpfe in Schwerelosigkeit auf Hotelfluren und Skiläufe vor einer Gebirgsfestung - werden in verschachtelten Parallelmontagen auf immer wieder verblüffende Weise verbunden. Hier löst Inception als Actionfilm sein Versprechen ein, Wahrnehmungsmuster sinnlich auszureizen. Dabei verfährt er erstaunlich sparsam mit computergenerierten Effekten und löst etliche Manöver auf bewährte analoge Weise auf.

Der Traum im Traum im Traum bleibt ein verschlossener Bau

Was allerdings bei all dem souverän exekutierten Traumsurfing in den Hintergrund rückt, ist der soziopolitische Widerhall des Films, ein gesellschaftliches Außen, mit dem er noch in Verbindung träte. Der melodramatische Teil der Erzählung ist auf individuelle psychische Dispositionen zurückgeschraubt, auf Archetypen, die in ihrer Funktionalität letztlich recht eindimensional bleiben. Der Traum im Traum im Traum bleibt ein verschlossener Bau, aus dem keine Idee in die Freiheit führt. Ab Freitag im Kino. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD Printausgabe 29. Juli 2010)