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Streumunition der kolumbianischen Armee: Mehr als 90 Prozent der weltweit verstümmelten oder getöteten Opfer trugen keine Uniform.

Foto: Reuters/John Vizcaino

Menschenrechtsorganisationen sehen dennoch Fortschritte, vor allem für die Opfer.

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Der sechsjährige Adnan aus dem Kosovo ging mit seiner Familie zum Baden. Am See in der Nähe der Stadt Ferizai fand der Junge eine Kiste aus gelbem Metall, er brachte die Box zu seinen Angehörigen. Niemand wusste, dass es sich um Streumunition handelte, eine tödliche Hinterlassenschaft aus dem Krieg von 1999. Die Nato-Streitkräfte hatten die tückischen Waffen verschossen.

Als ein Bruder Adnans die Kiste fallen ließ, explodierte sie. Der Bruder und der Vater Adnans starben sofort. Später wurde auch Adnans Schwester von der Munition getötet, als sie den Unglücksort besuchte. Adnan selbst überlebte, verletzt und traumatisiert. "Trifft man ihn, so spürt man die ihm innewohnende tiefe Traurigkeit und schreckliche Schuld" , berichtet die Hilfsorganisation Handicap International.

Damit sich Schicksale wie das von Adnan nicht wiederholen, unterzeichneten 107 Staaten bis Mitte Juli das Übereinkommen über Streumunition, 37 ratifizierten das Abkommen, darunter auch Österreich. Der Vertrag tritt am 1. August in Kraft.

Der Pakt sieht ein weitgehendes Verbot der Waffen vor. Die Länder ächten Einsatz, Entwicklung, Produktion, Lagerung und Weitergabe der Sprengsätze. Innerhalb von acht Jahren sollen die Streitkräfte ihre Bestände zerstören.

Allerdings: Bestimmte Kategorien bleiben von dem Verbot unberührt, so etwa moderne Munitionstypen, die spezifische Merkmale wie ein Gewicht von mehr als vier Kilogramm aufweisen. Und: Die Arsenale der USA, Russlands und Chinas mit hunderten Millionen Einheiten von Streumunition bleiben ganz verschont - die drei sperren sich gegen das Abkommen. Das Verteidigungsministerium der Supermacht USA bezeichnet Streumunition als "legitime Waffe mit klarem militärischem Nutzen" . Immerhin verbieten die Amerikaner den Export fast aller Sprengkörper.

Militärkooperation erlaubt

Ein weiterer Schwachpunkt des Abkommens: Die Vertragsstaaten dürfen mit Nichtvertragsstaaten der Anti-Streubomben-Konvention militärisch kooperieren. Konkret: Verbündete der USA können weiterhin an der Seite der Amerikaner kämpfen - auch wenn die USA Streumunition verschießen. "Das alles bereitet sehr ernste Sorge" , sagt Fachmann Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de.

Trotz der Schwächen werten Regierungen und Fachleute die Vereinbarung von Dublin als wichtigen Schritt nach vorn. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, betont: In Zukunft werde das Abkommen "gewaltiges Leiden unter Zivilisten verhindern" . Organisationen wie Landmine.de schätzen: Mehr als 90 Prozent der mehr als 14.000 verstümmelten und getöteten Opfer trugen keine Uniform.

Besonders eifrig verschossen die Amerikaner Streumunition: Im Vietnamkrieg in den 1960er- Jahren, im Golfkrieg zu Beginn der 1990er-Jahre, in Afghanistan 2001/ 2002. Vor zwei Jahren noch bekämpften Russen und Georgier einander mit Streubomben.

Künftig sollen die Vertragsstaaten die gefährlichen Rückstände beseitigen. Und Überlebende wie der kleine Adnan aus dem Kosovo können auf Hilfe hoffen: Die Länder des Pakts verpflichten sich zu medizinischem und psychologischem Beistand für die Opfer. In Rehabilitationszentren sollen sie sich auf ein Leben nach der Streumunition vorbereiten.  (Jan Dirk Herbermann aus Genf/DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2010)