Paolo Tumminelli, Jahrgang 1965, studierte Architektur am Politecnico und Design an der Domus Academy, beides in Mailand. 2002 gründete er Goodbrands, ein Unternehmen für strategische Marken- und Designberatung in Düsseldorf. Seit 2003 ist er ausserdem Professor für Designkonzepte an der Köln International School of Design.

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Steve Jobs und das iPhone 4

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Das neue Apple-Handy kommt am Freitag startet der Verkauf. Trotz Problemen mit der Antenne werden sich zweifellos auch dieses Mal lange Schlangen vor den Läden bilden. Denn: "Niemand spricht die irrationalen Bedürfnisse der Konsumenten besser an als Firmenchef Steve Jobs", sagt der international tätige Redner und Designprofessor Paolo Tumminelli.

Herr Tumminelli, wann ist ein Handy sexy?

Es ist per se sinnlich. Das Auto war das Produkt des 20. Jahrhunderts, das Smartphone ist das Produkt des 21. Jahrhunderts. Epochale Erfindungen faszinieren nun mal.

Was ist denn sinnlich an an einem Multimedia-Handy?

Es ist quasi die Prothese meines Gehirn. Es erlaubt mir, meine sinnlichen Erfahrungen mit Menschen auszutauschen. Das alles geschieht mit den Fingern, sehr sexy. Und dann diese Bedienung. Erinnern Sie sich noch an das Motorola Microtac, das erste Handy mit Klappfunktion? Zu seiner Zeit: wunderbar. Der zweite Hype kam mit dem Motorola Razr, viel dünner als das Microtac, irgendwie zerbrechlich. Man kann beide Modelle mit dem Magnum-Glace vergleichen: Unmöglich zum Essen - zum Bedienen -, aber gleichzeitig auch erotisch: dieses Geräusch beim Aufklappen, Reinbeissen!

Fast niemand redet heute mehr von Motorola

Apples iPhone ist der dritte Hype der Smartphone-Entwicklung: Hochwertig, aber sehr empfindlich. Das stimuliert die Nutzer, ihr eigenes Gerät zu beschützen. Und dann die Cases dazu - das Gerät wird quasi kondomisiert, das erinnert an die mit Wasserschutzhüllen geschützten Autos in den Siebzigerjahren.

Welches Geschlecht fühlt sich vom iPhone eher angezogen?

Heute wird alles segmentiert, so schaffen es nur wenige Hersteller, ihre Geräte unisex zu gestalten. Apple gelingt eine zentrale Positionierung. Für mich ist das iPhone metrosexuell.

Das müssen Sie jetzt aber genauer erklären.

Mit den Rundungen und der glänzenden Empfindlichkeit der Oberflächen spricht es eher Frauen an, die Dimensionen und die Form - im Prinzip ein Rechteck - sind männlich. Insgesamt ist das iPhone aber nicht mechanisch geprägt, nicht maskulin. Also metrosexuell.

Welche Art Smartphones bevorzugen Sie?

Am wohlsten ist mir mit alten Nokias. Sonst nutze ich gerne das Blackberry Curve. Und dann habe ich selbstverständlich noch ein iPhone.

Wofür?

Gute Frage. Sicher nicht zum Telefonieren. Das iPhone ist vieles, aber kein gutes Kommunikationsgerät. Zum Surfen finde ich übrigens alle Smartphones nur bedingt nutzbar. Als Businessanwender käme ich mit Blackberrys eher zurecht: E-Mail, SMS und Telefon stehen im Vordergrund. In der iPhone-Matrix werden alle Anwendungen gleich behandelt, favorisiert ist allerdings die Unterhaltung, respektive die Selbstbeschäftigung. Und dieser Touchscreen!

Was ist daran auszusetzen?

Mich irritiert der Trend hin zu berührungsempfindlichen Bildschirmen. Per Tastatur kann ich die Grundfunktionen eines Geräts blind bedienen, aber das iPhone zwingt mich, permanent auf den Bildschirm zu schauen. Das Gerät verlangt viel zu viel Aufmerksamkeit.

Trotzdem haben auch Sie ein Apple-Handy gekauft. Warum nicht ein anderes Multimedia-Handy ?

Das iPhone ist die perfekte Integration von Hard- und Software. Solange die Konkurrenz es verpasst, beide Komponenten zusammenzuführen, reisst die Apple-Erfolgsgeschichte nicht ab. Wieviele Male schon haben Samsung, Sony-Ericsson und Co. den ultimativen iPhone-Killer angekündigt? Ich fühle mich nicht wohl bei einer Firma, die alle sechs Monate drei neue Modelle präsentiert. Das macht mich wahnsinnig. Da lobe ich mir Apples Fokussierung auf ein einziges Produkt, das konsequent weiterentwickelt wird.

Mögen Sie das Apple-Design?

Das iPhone ist wahrhaftig nicht speziell, ein banales Stück Kunststoff. Weder schön noch hässlich. Was mich an Apples Design begeistert, ist die Besessenheit für Details.

Wird der Designfaktor überbewertet?

Generell stehen heute weder das Design noch die Funktionalität im Zentrum, sondern die Inhalte. Das iPhone ist ein Fenster für die Inhalte. Früher definierte sich der soziale Status daran, ob man ein Handy besass. Dann hatten alle ein Handy, und die Frage lautete: Wie teuer ist deins? Heute hat jeder ein Handy und fast jeder ein iPhone. Also hebt man sich mit Inhalten ab. An Partys etwa diskutiert man darüber, wie viele Nummern von Prominenten der Besitzer auf seinem Gerät gespeichert hat. Das ist Sozialfetischismus pur.

Was bedeutet "Antennagate" für Apple?

Apple muss mehr Angst haben, dass auch das iPhone 4 nicht den Durchbruch für die Videotelefonie bringt. Ich behaupte einfach mal: Die Empfangsprobleme fallen keinem Käufer auf. Was wiederum zeigt, wie wenig aufmerksam wir sind, was die Leistungen betrifft. Die Käufer sind dermassen begeistert, dass sie nicht mal merken, wenn eine Grundfunktion beeinträchtigt ist. "Antennagate" zeigt aber auch: Jedes Produkt ist angreifbar. Und das ist angesichts der endlosen Apple-Zelebrierung mit massenhysterischen Zügen eigentlich eine gute Nachricht.

Sie machen mir den Eindruck, das Phänomen Apple nicht einordnen zu können.

Da liegen Sie nicht ganz falsch. Die Bewunderung ist da, natürlich. Denn niemand spricht die irrationalen Bedürfnisse der Konsumenten besser an als Steve Jobs.

Irrational?

Steve Jobs ist mit seinem schwarzen Pullover und seiner Gestik bei Pressekonferenzen die Antithese des Papstes. Und dann die Verpackung der Computer und Telefone -unerreicht. Wer diese öffnet, muss sich vorkommen wie ein Teenager, der gerade die Liebe seines Lebens entjungfert. Die Gefühle, die Jobs' Unternehmen mit solchen Massnahmen schafft, wirken wie eine Volksdroge, die den Nutzer gefangen nimmt, abhängig macht. Das allein genügt natürlich nicht: Die von Apple geschaffene Produktwelt ist so einfach, dass sie jeder versteht. Niemand muss sich in Apple-Produkte einarbeiten - Stecker rein, und es läuft. Diese Genialität im Konzept und fast schon schweizerische Besessenheit in der Produktqualität sind unerreicht.

Trotzdem: Sie sind kein Apple-Verteidiger.

Apple hat halt auch dunkle Seiten: Im Apple-System kann man sich theoretisch frei bewegen, alle Inhalte und Applikationen werden aber von Apple freigegeben. Die Welt ist wunderbar, aber irgendwie fühlt man sich darin gefangen, wie der Held der "Truman Show". Im Gegensatz dazu ist Googles Android-Welt ein wunderbares Konzept. Das Betriebssystem kann als Open Source auf alle möglichen Geräten installiert werden. Google strebt ein mobiles Ökosystem mit einem offenen Ansatz in Bezug auf Endgeräte, Betriebssystem und Inhalte an. Der Markt wird entscheiden, welches Unternehmen sich auf dem Handymarkt durchsetzen wird.

Wie sieht denn dieser Markt aus?

Die grosse Frage ist, welches Gerät der Mensch mitführen wird. Gestern die Armbanduhr, heute das Handy und morgen? Die physische Dimension scheint mir das grösste Problem des Handys sein: Zum Telefonieren zu gross, für alles andere zu klein. Das Thema ist sehr komplex und ich schliesse eine weitere Revolution nicht aus. Und ich wage, eine Gegenwelle zu prognostizieren: Der Megatrend Gesundheit wird zu einer globalen Strahlendiskussion führen, das die Handy-Kultur verändern könnte. Vielleicht gibt es in einigen Jahren "wellenfreie Zonen", analog zu Nichtraucher-Restaurants. Und dann einen Trend zu autonomen und nachhaltigen-Geräten der Öko-Chic-Generation.  (Das Interview führteReto Knobel, Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)