Maggi-Werbung neben Wahlplakat.

Foto: Solmaz Khorsand

US-Panzer im Zentrum von Kabul.

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Lammfleisch am Qargha See.

Foto: Solmaz Khorsand

Familientreffen in Kabuls Altstadt.

Foto: Solmaz Khorsand

Baghe Babur: Hier flanieren Kabulis am Wochenende.

Foto: Solmaz Khorsand

Apokalyptisch. So lautet der Tenor, wenn es darum geht Kabul in einem Wort zu beschreiben. Die Straßen haben keinen Namen und die Häuser keine Nummern. Ein skuriler Mix aus Mittelalter und High Tech. Schäfer treiben ihre Herde zum Fleischer vorbei an US Panzern, aus denen grimmige Soldaten ihre Köpfe herausstrecken.

Slum trifft auf Prunk, im Norden Shoppingcenter mit schwindelerregend hohen Glasfassaden, im Süden flache Lehmhütten, die bis in die Berge hinauf reichen. Und mittendrinnen schmucke Schlösschen in Bonbonfarben, die mein Fahrer immer wieder als Warlord-Domizile identifiziert. (Man würde meinen, dass babyblau eher nicht die typische Tarnfarbe kampferprobter Warlords ist.)

Glänzende Anzüge und feines Essen

In den vergangenen neun Jahren hat sich einiges getan in der Hauptstadt und die Kabulis sind stolz darauf. Die Innenstadt, Shahr-e Nau ("Neustadt") ist das Businessviertel, hier geht Kabul in glänzenden Anzügen und spitzen Schuhen zur Arbeit und des Abends fein Essen.

Jede Organisation, die etwas auf sich hält, hat ihr Büro hier untergebracht. Wer es sich leisten kann, wohnt mitten drinnen, oder etwas außerhalb, nahe des Flughafens in einem der Appartmentkomplexe in Microrayon, einer Wohnsiedlung aus Sowjetzeiten.

Wochenendprogramm

In diesen Gemeindewohnungen bringen Afghaninnen ihre Kinder schon einmal unverhüllt zum hauseigenen “Spielplatz” (bestehend aus einer Rutsche). Am Wochenende, Donnerstags und Freitags, geht es dann ab in die Parks, wie den Baghe Babur, im Süden der Stadt, wo gelegentlich Mädchen und Jungs Nummern austauschen oder gar gemeinsam spazieren.

Manche zieht es noch weiter hinaus zum Qargha-See, rund 10 Kilometer außerhalb von Kabul. Ein künstlicher See vor einem märchenhaften Bergmassiv, um den herum bunte Pavillons aufgereiht sind, in denen Familien gegrilltes Lammfleisch essen und Wasserpfeife rauchen.

Obskure Polizisten mit blutrünstiger Vergangenheit

Hier ist von Apokalypse keine Spur, eher surreales Wunderland, wo bei Melanzipaste und gefüllten Teigtaschen über die obskuren Polizisten gerätselt wird, die entlang der einzelnen Restaurants stationiert sind. Beiläufig wird erwähnt, dass sie allesamt ehemalige Milizen waren, jene von der besonders blutrünstigen Sorte, wie meine afghanischen Begleiter betonen.

"Lass dich bloß nicht von ihren Uniformen täuschen, mit ihrer Loyalität zum afghanischen Staat ist es noch nicht lange her." Häppchenweise rücken sie heraus mit den unangenehmen Details wie zum Beispiel, dass es einen Grund hatte, warum wir im Höllentempo am Flüchtlingscamp entlang der Route vorbei gerauscht sind.

Man erzählt sich, dass die Taliban hier ihr Frischfleisch rekrutieren, und dass immer wieder Ausländer verschwinden inmitten der Zelte und Lehmhütten. Kabuls schwarzes Loch sozusagen.

Inmitten der Horrorgeschichten

Wir Ausländer in der Runde lauschen den Horrorgeschichten mit wohligem Schrecken, als betreffe es uns nicht. Als wären unsere afghanischen Begleiter eine Art Schutzschild gegen jegliche Gefahren, vom Autounfall bis zur Entführung. Das schwarze Loch kann uns nichts anhaben, vor allem, wenn unser Freund Bijan gekonnt über Schlaglöcher an Eselkarren und Fahrradfahrern vorbei donnert, um uns in trügerischer Sicherheit zu wiegen. (Solmaz Khorsand aus Kabul, derStandard.at, 28.7.2010)