Die GNOME Shell lässt sich zwar jetzt bereits nutzen, soll bis zum März aber noch weiteren Feinschliff erfahren.Das ebenfalls abgebildete neue Kontrollzentrum des Desktops wird allerdings voraussichtlich bereits mit GNOME 2.32 ausgeliefert, so Untz.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wenn sich - wie momentan im niederländischen Den Haag - hunderte EntwicklerInnen des GNOME-Projekts zur jährlichen GUADEC versammeln, ist das nicht nur Anlass, um Vorträgen zu aktuellen Neuerungen rund um den Desktop zu lauschen, die Versammlung bietet auch eine gute Gelegenheit für einen "Reality Check". Einem solchen hat sich das Linux-Desktop-Projekt nun gestellt, und trifft eine Entscheidung, die wohl nicht ganze leicht gefallen sein dürfte: Die Freigabe von GNOME 3.0 wird um weitere sechs Monate verschoben, die nächste Generation des Desktops soll nun im März 2011 fertiggestellt sein.

Überlegungen

"Wir hätten im September eine durchaus brauchbare Release abliefern können, aber eben nichts das unseren eigenen Standards gerecht wird", erläutert Release-Team-Mitglied Vincent Untz die Entscheidung gegenüber derStandard.at. Dabei streicht er auch heraus, dass sich praktisch alle Teilprojekte - vom Dokumentationsteam, über die EntwicklerInnen im Bereich Barrierefreiheit, die Grafik-Abteilung und das Marketing - diesen Schritt favorisiert haben, auch wenn man hier durchaus für eine September-Release bereit gewesen wäre.

GNOME Shell

Ein Projekt, das im Speziellen um mehr Zeit gebeten hat, ist jenes rund um die GNOME Shell, und damit dem zentralen Bestandteil der neuen User-Experience von GNOME 3.0. Denn auch wenn sich die aktuelle Ausgabe der Software bereits durchaus im Alltag einsetzen lasse, würde man hier gern noch so manchen Feinschliff vornehmen - etwas das im kurzen Zeitraum September nur schwer unterzubringen gewesen wäre. "Wenn wir mit unseren NutzerInnen über GNOME 3.0 diskutieren, zeigen sich diese oft begeistert, das ist eine Erwartungshaltung, die wir nicht enttäuschen wollen", betont Untz.

Optionen

Die konkrete Entscheidung habe man sich nicht leicht gemacht, entsprechend seien auch mehrere Optionen abgewägt worden. So wäre etwa eine Möglichkeit gewesen, GNOME 3.0 einfach mit dem klassischen 2.x UI auszuliefern, und die Shell später nachzuliefern. Eine Idee die man angesichts der zentralen Rolle der GNOME Shell aber wieder rasch verworfen habe, immerhin stehe bei GNOME 3.0 "die User Experience im Vordergrund". Nachdem man sich auf die Verschiebung verständigt hatte, sollte sich aber noch eine andere Frage stellen: Will man eine weitere GNOME 2.x Release einschieben oder lässt man diesen Zyklus einfach aus?

GNOME 2.32

Schlussendlich gab es eine klare Entscheidung: GNOME 2.32 soll im September freigegeben werden, dies vor allem um den diversen Distributionen eine stabile Basis für ihre kommenden Veröffentlichungen zu bieten. Die Basis hierfür soll ein letztes Mal die 2.x-Serie des grafischen Toolkits GTK+ bilden. Eine Wahl, die allerdings ihr eigenes Set an Komplikationen mit sich bringt, sind zwischenzeitlich doch zahlreiche GNOME-Module bereits vollständig auf GTK+3 migriert. Wo trivial möglich will man diese Änderungen für GNOME 2.32 rückgängig machen, ist dies nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligen, sollen die aktuellsten Pakete für GNOME 2.30 noch einmal verwendet werden.

Cleanup

In Hinblick auf die Aufräumarbeiten an der Plattform - immerhin ist die Enfernung veralteter Bibliotheken und Funktionen einst eine der zentralen Motivationen für GNOME3 gewesen - zeigt sich Untz mit dem aktuellen Stand durchaus zufrieden. Es hätte zwar schwierig werden können bis September tatsächlich alle der gesteckten Ziele vollständig umzusetzen, davon wären die NutzerInnen aber ohnehin nicht beeinträchtigt gewesen. Die jetzige Verschiebung sollte dem Projekt nun aber genügend Raum geben, um auch die erst vor kurzem gestarteten großen Unterfangen, wie die Ablöse des veralteten Konfigurationssystems GConf durch das schlankere GSettings / DConf, vollständig durchzuziehen. In GNOME 2.32 sollen die beiden Konfigurationssysteme übrigens parallel genutzt werden. Keine optimale Situation wie das langjährige Mitglied des GNOME Release Teams offen zugibt, aber auch kein wirklicher Beinbruch, sei so eine Änderung doch ohnehin vor allem für AdministratorInnen relevant, da sei es praktisch, dass keine große Enterprise-Linux-Version auf GNOME 2.32 aufsetzen werde.

GTK+3

Noch offen ist die Frage, wann schlussendlich GTK+ 3.0 veröffentlicht werden wird, geht es nach dem GNOME-Release-Team würde man eine Beibehaltung des September-Termins favorisieren. Sprechen sich die zuständigen EntwicklerInnen hier ebenfalls für eine Verschiebung aus, soll diese aber bis maximal Dezember dauern - mit einer Veröffentlichung Monate vor GNOME 3.0 würde man den AnwendungsentwicklerInnen die Anpassung ihrer Software erheblich erleichtern, hofft man auf einen positiven Seiteneffekt der Verzögerung. Derzeit ist übrigens noch eine zentrale Neuerung für GTK+3 im Gespräch und zwar die Aufnahme eines frischen Theming-APIs. Solche Diskussionen gab es in der Vergangenheit zwar immer wieder ein mal, diesmal hat man aber bereits mit den konkreten Vorarbeiten begonnen.

Ausblick

Auch wenn natürlich niemand gerne Verspätungen verkündet, scheint der von Novell bezahlte Entwickler der Entscheidung durchaus Gutes abgewinnen zu können: "Wenn man sich anschaut, wo wir vor sechs Monaten waren, und wo wir jetzt stehen, wenn man betrachtet, was die Community in den letzten sechs Monaten so alles geleistet hat, dann ist das ein ganz schön großer Brocken". Entsprechend zeigt sich Untz davon überzeugt, dass es zu keinen weiteren Verzögerungen kommen wird: "Was im März gerade noch als Beta durchgegangen wäre, hat jetzt schon Release-Candidate-Qualität - und wird im kommenden März mit einem ziemlich feinen GNOME 3.0 gekrönt". (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 28.07.10)