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Weit und breit kein echter Christenmensch auf der Himmelstreppe: Nicholas Ofczarek als Brutalo-Jedermann und seine gleichermaßen herzensschwache Buhlschaft (Birgit Minichmayr).

Foto: APA/Gindl

 Auf der Oberfläche gelingt das recht gut.

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Salzburg - Nach einem langen Vorspiel medialer Bedeutungszufuhr und der Aufgeregtheit um die erstklassige Neubesetzung kann man Hugo von Hofmannsthals Drama Jedermann im Jubiläumsjahr 2010 wieder auf das zurückschrauben, was es ist: eine altertümliche Parabel, die aus ihren katholischen Koordinaten nicht herausfinden kann. Auch eine Neudichtung könnte daran nichts ändern, sofern man nicht das ganze Ding über Bord wirft.

Allerdings versucht Regisseur Christian Stückl in der neunten Wiederauflage seiner Salzburger Inszenierung zunehmend, sich der religiösen Imprägnierung zu entledigen. Denn wenn dieser zeitlebens gottlose Jedermann zum Zweck des eigenen Seelenheils am Ende schließlich vor der Himmelstreppe sein "Ich glaube" herauspresst, dann muss man das aus dem Mund von Nicholas Ofczarek nicht zwingend als ein Bekenntnis zu Gott begreifen, sondern hört ihn vielmehr sagen: "Ich glaube ... euch, dass ich ein schreckliches Arschloch war."

In Ofczareks neuem Jedermann, einem heißblütigen Burschen, steckt in hundert Jahren kein Christ, auch kein Esoteriker, nicht einmal eine Depression. Ihm nimmt man keine Gottesfürchtigkeit mehr ab, aber man nimmt ihm das Schuldbekenntnis ab und seine allzu späte Einsicht, dass er es in puncto Nächstenliebe einfach nicht gebracht hat. Und damit bewegt sich das Ganze letztlich wieder im moralischen Vokabular des Katholizismus, also in einer Welt, in der es für Gut und Böse klare zentralistisch installierte Zuschreibungen gibt.

Im Kern bleibt dieser Jedermann also gleich, an der Oberfläche aber hat er an Gegenwärtigkeit dazugewonnen: Ofczarek rückt seine Darstellung weg vom saturierten Lebemann hin zu einem jungen, hüftbetonten Draufgänger, hinter dessen einwandfreier Erziehung ein eiskalter Geldvermehrer von heute steckt. Seine Jugendlichkeit (nur Klaus Maria Brandauer war anno 1983 als Titelheld ähnlich taufrisch) hebt automatisch die Tragik (des frühen Todes), und sie macht nebenher auch noch jenes störrische Überlegenheitsgefasel plausibel, das diesen Menschen ausmacht. Er ist gewalttätig, schlägt einen Schuldner zu Boden und scheint an einem Aufmerksamkeitsdefizit zu laborieren. Liebe? Kennt er nicht. Da tut es ihm seine neue Buhlschaft ganz gleich - Birgit Minichmayr verkörpert sie in wenigen Gesten als kühnes Liebesplacebo: wenig Herz, rasender Verstand. Mitgehen in den Tod? Niemals.

Kein Wunder, dass Gott der Herr (Martin Reinke) von dieser rücksichtslosen Gesellschaft die Nase voll hat und den Tod (stimmstark: Ben Becker) zum Bankett schickt, wo dämlich blickende Partymenschen ihren Outfits frönen: Punks, Geishas und Crossdressing im Gothic-Style (Kostüme und Bühne: Marlene Poley). Bei aller religiöser Not ist der Jedermann aber auch ein großes Kasperltheater. Die tollsten Belege dafür liefern Sascha Oskar Weis als neuer, erotischer Mammon (Goldlametta vorm Gemächt) und in alter Frische: Peter Jordan als rattenscharfer Teufel! (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 27.07.2010)