Sozialistische Modellarchitektur mit Neorenaissance-Elementen: Verwaltungsgebäude des Stahlkombinats, heute im Besitz des indischen Arcelor-Mittal-Konzerns.

Foto: Standard/Mörtl

Erinnerung an die Zeit der Mangelwirtschaft: eine der wenigen Geschäftszeilen inmitten der Plattenbauten.

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Heute schwebt die einstige sozialistische Modellstadt zwischen Resignation und Neubeginn.

Nowa Huta – Schweiß tropft den Fahrgästen der Straßenbahnlinie 4 von der Stirne. Sieben Kilometer müssen sie ausharren, um von Krakau zum Plac Centralny in Nowa Huta zu gelangen. Für jeden Neuankömmling, der sich der einstigen südpolnischen Arbeiterstadt Station für Station nähert, ist die Fahrt erkenntnisreich. Krakau und Nowa Huta wachsen zu einer Großstadt zusammen.

Nutzungskonflikte sind bereits auf der Anfahrt nach Nowa Huta sichtbar. Die Fläche zwischen der ehemaligen Arbeiterstadt und dem "alten" Krakau wird zunehmend von Immobilienfirmen aufgekauft. An der Peripherie Nowa Hutas wechseln sich Freizeiteinrichtungen, Shoppingcenter sowie ein neuer Hightech-Park mit Grünflächen ab. Plattenbauten säumen die Straße Jana Pawla, die schließlich in den zentralen Kreisverkehr von Nowa Huta mündet.

Die nordöstlich ausgerichtete Solidarnoœć-Allee führt zum Gelände der Stahlindustrie, noch heute Kombinat genannt. Im Süden wird der halbkreisförmig bebaute Plac Centralny von einer treppenartigen Schwelle begrenzt, die in einen tiefer gelegenen Sumpf übergeht. Zur Zeit der Errichtung der "Neuen Hütte" hätte dieses riesige Marschland überflutet werden sollen. Die sozialistische Modellstadt sollte sich im Wasser spiegeln. Dieser Plan wurde nie umgesetzt. Nowa Huta ist auch so ein Spiegel der polnischen Gesellschaft

Chopin statt Lenin

Auf dem an den Plac Centralny angrenzenden Ronald-Reagan-Platz in der Rosenallee ist dort, wo bis zur Wende eine Lenin-Statue thronte, temporär ein Klavier aufgestellt. Es weist auf das Chopin-Jahr hin. Der ehemalige Versammlungsort, umsäumt von Neorenaissancebauten mit Arkadengängen, ist heute ein selten genutzter öffentlicher Raum.

2004 wurde ein Wettbewerb für die Gestaltung der Freifläche vor dem Rund des Plac Centralny ausgeschrieben. Ein neuer Marktplatz sollte errichtet werden. Es verwundert nicht, dass die Bewohner von "Alt-Nowa-Huta" den Wettbewerb zum Erliegen brachten. Sie leisten jeglicher Modernisierung im Zentrum Widerstand und sehen sich zugleich als Opfer der touristischen Musealisierung. "Crazy Guides" versuchen Urlaubern die sozialistische Lebensweise näherzubringen. In eigens für ihre Touren adaptierten Wohnungen schwelgen die Teilnehmer bei Wodka und sauren Gurken in der Nostalgie der "guten alten Tage" .

Auf den ersten Blick erscheinen die Fassaden der Genossenschaftswohnungen monoton. Bei näherem Hinsehen erschließt sich ein vielschichtiges Bild. Die Blöcke unterscheiden sich im Grad ihrer Modernität, Farben, Kompaktheit, Fassaden, Bauhöhe und im Grünanteil. Das Straßenbild im alten Zentrum ist mit Kiosken übersät, welche die Nahversorgung sicherstellen.

Fährt man mit der Tram 15 in die Peripherie zur Station Wanda, merkt man, warum Nowa Huta als Stadt der Gegensätze gilt. Hier säumen riesige Reklametafeln, Wohnblöcke und ein Shopping-Center die Straßenfronten. In der Nähe trifft man auf den traditionellen Tomex-Markt, wo noch um jeden Zloty gefeilscht wird. In den Subzentren beidseits der Kocmyrzowska-Straße kulminiert die allgegenwärtige Widersprüchlichkeit. Ein paar Häuserzeilen von der Arka Pana entfernt – jener Kirche, die gegen den Widerstand der Kommunisten erbaut wurde – trifft der Besucher auf einen Panzer, das inoffizielle Wahrzeichen Nowa Hutas. Es steht vor dem historischen Ludowy-Theater.

Theater als Zündfunke

Das war lange Zeit das einzige Theater in Nowa Huta. Seit 2005 existiert zusätzlich das LaŸnia-Nowa-Theater, das für die Bewohner identitätsstiftend wirkt. Anna Szczygielo, Pressereferentin aus Nowa Huta, hofft, dass das Theater als Zündfunke für die Belebung Nowa Hutas wirkt. Die vorwiegend jungen Künstler kooperieren eng mit den Einheimischen, deren Ideen und Geschichten in die Stücke regionaler Produktionen einfließen. Nowa Huta, so die Philosophin, könnte in zehn Jahren ebenso pulsieren wie das trendige Kazimierz, Krakaus jüdisches Viertel. Einige der ungenützten Industriehallen des Geländes der indischen Stahl-Holding Arcelor Mittal werden bereits für Kulturprojekte genutzt.

Auf der Rückfahrt nach Krakau springt erneut der Skeletor ins Auge. Dieses schmale Hochhaus steht seit 30 Jahren unvollendet am Rondo Mogilskie. In zwei Jahren soll aus dem Skeletor und einem angrenzenden Ensemble ein "Krakauer Manhattan" mit moderner Silhouette werden. Vom Aussichtsrestaurant könnte man bald auf das "alte" Krakau und das immer mehr zur "Satellitenstadt" mutierende Nowa Huta mit einer steigenden Zahl an modernen Plattenbauten blicken. Ob das Hochhaus dann "Turm der Kontraste" genannt wird? (Ute Mörtl/DER STANDARD, Printausgabe, 27.7.2010)