"Daham statt Islam" wäre in Großbritannien undenkbar, sagt Ruth Wodak

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Wären FPÖ-Plakate wie "Daham statt Islam" in Großbritannien denkbar? Nein, meint Sprachwissenschafterin Ruth Wodak: Englands Rechte hetze zwar genauso gegen Minderheiten, verwende aber eine weniger deutliche Sprache. derStandard.at hat die Wissenschafterin gefragt, warum Regierungsparteien es schwieriger finden, ihr Programm zu kommunizieren.

derStandard.at: Der Wiener Wahlkampf hat leise begonnen. Wie empfinden Sie die Sprache der Plakate, beispielsweise der FPÖ? Strache zeigt sich gemäßigt und verspricht „Endlich Sicherheit", „Endlich Zukunft".

Ruth Wodak: Man wird erst sehen, was das bedeutet. Warten wir ab bis September – ich erinnere mich an 1999, wo die wirklich fremdenfeindliche Wahlwerbung der FPÖ erst im September begonnen hat.

derStandard.at: Sehen Sie in der Sprache der Wahlplakate länderspezifische Unterschiede?

Wodak: Ja. Das, was in Österreich manchmal von FPÖ und BZÖ plakatiert wird, könnte in England von einer Parlamentspartei so nicht plakatiert werden. Wobei man auch berücksichtigen muss, dass Ungarn viel expliziter ist, was Antisemitismus und Antiziganismus betrifft, Rumänien, Bulgarien, und Polen häufig ebenfalls.

derStandard.at: „Daham statt Islam" wäre in Großbritannien undenkbar?

Wodak: Ja, in dieser Form wäre das nicht möglich. Die Plakate der British National Party (BNP) sind zwar auch nicht ohne. Aber sie verbleiben sprachlich indirekter, sie formulieren nicht alle Ausgrenzungen aus. Man kann zwar oft die diskriminierende Bedeutung erschließen, aber die BNP hat immer noch die Möglichkeit, zu sagen: „So haben wir es ja gar nicht gemeint." Sie versucht, ihre antisemitische und antimuslimische Agenda jetzt noch impliziter zu verkaufen, da sie viele Stimmen bei der letzten nationalen Wahl im Mai 2010 verloren hat – besonders in London. Es werden sogar Mitarbeiter darin geschult, wie sie radikale Ansichten in der Öffentlichkeit gemäßigt darstellen können.

derStandard.at: Warum ist die Hetze verdeckter? Liegt es daran, dass die WählerInnen sensibilisierter sind?

Wodak: Es gibt Gesetze gegen Hate Incitement, also gegen Verhetzung. Zwar gibt es die in Österreich auch, und sie wurden im Fall (der Grazer FPÖ-Politikerin, Anm.) Susanne Winter auch angewendet. Nicht aber im Fall des vorletzten Grazer BZÖ-Wahlkampfs, als es hieß „Wir säubern Graz", wo sich viele empört haben, dass so ein Plakat möglich ist.

derStandard.at: Inwiefern hat sich der minderheitenfeindliche Diskurs der Wahlplakate verändert?

Wodak: Die Kategorien werden stärker vermischt: Migranten, Asylwerber und Flüchtlinge werden heute gleichgesetzt, es geht nur noch um „die Migranten" oder „die Fremden". Das war früher anders. Einerseits will die EU, dass ihre Bürger alle mobil werden, andererseits wird Migration aber prinzipiell als etwas Schlechtes gewertet. Früher wurde ja auch mit Asylwerbern anders umgegangen. Heute wird die Kategorie „illegal" schon attribuiert, bevor das Verfahren überhaupt abgeschlossen ist.

derStandard.at: Diese Rhetorik dient auch RegierungspolitikerInnen als Instrument, um sich zu profilieren. Warum ist rechtspopulistische Rhetorik derart machtvoll, dass sie es schafft, Großparteien vor sich herzutreiben?

Wodak: Ich glaube, dass Rechtspopulisten jetzt überall so erfolgreich sind, weil sie sehr einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Wenn man einen Sündenbock schafft, der daran schuld sein soll, dass „wir unsere Jobs verlieren", dann hat man eine sehr einfache Lösung für strukturelle Probleme herbeigezaubert. Komplexe Lösungen brauchen mehr und differenzierte Erklärungen, und das hat oft nicht Platz. Außerdem ist es immer schwieriger, vorhandene Errungenschaften wieder als etwas Positives ins Spiel zu bringen – Thema Sozialstaat. Meine Generation war beispielsweise an Mutterkarenz, Väterkarenz und ähnliche wichtige Maßnahmen noch nicht gewöhnt. Für die jungen Generationen sind das Dinge, die „ohnehin da" sind. Das heißt: Die Sozialdemokraten beispielsweise müssen das als Errungenschaft verkaufen und zeigen, dass es wichtig ist, das zu bewahren – gerade in Zeiten der Finanzkrise. Es gibt aber noch einen dritten Punkt.

derStandard.at: Und zwar?

Wodak: Die rechtspopulitischen Parteien sind ja meist nicht an der Regierung. In Österreich haben sie es zwar kurz probiert, aber da waren sie nicht erfolgreich, sondern haben sich innerhalb von kurzer Zeit fast aufgelöst. Die Rechten sind in der Opposition, sind also fast immer in einem Wahlkampf-Habitus, während die Regierungsparteien rechtfertigen müssen, was sie an Maßnahmen setzen. Sie können nicht ununterbrochen im Wahlkampfmodus agieren, sie müssen im Regierungsmodus staatsmännisch agieren. Dadurch ist die Rhetorik insgesamt anders. Dazu kommt, dass die FPÖ die neuen Medien sehr gut nützt und dadurch die Jugendlichen gut erreicht. Da haben sie den Regierungsparteien und auch den Grünen sicher etwas voraus.

derStandard.at: Sie setzten sich für sensiblen Sprachgebrauch ein. KritikerInnen meinen, man wisse schon gar nicht mehr, was man sagen darf, und was nicht – von der „Sprachpolizei der Political Correctness" ist sogar die Rede. Ein berechtigter Vorwurf?

Wodak: Ich halte das für eine komplette Übertreibung. Es ist logisch, dass Minderheiten so bezeichnet werden wollen, wie sie sich wohlfühlen, und ich halte es auch nicht für schwierig, „Roma" statt „Zigeuner" zu sagen. Natürlich gibt es hier Ausuferungen, wie bei allem, aber das muss man ja nicht mitmachen. Im Übrigen kommt dieser Vorwurf häufig von jenen Menschen, die selber gerne andere scharf und polemisch kritisieren.

derStandard.at: Oft heißt es auch, die Kritik am Sprachgebrauch bediene nur Oberflächlichkeiten, ändere aber am Problem selbst nichts. Ein Beispiel: Statt von den – negativ konnotierten – „Asylanten" spricht die Politik jetzt höflicher von „Asylwerbern", behandelt sie aber mit mehr Strenge als zuvor.

Wodak: Diese Kritik kann ich nachvollziehen; ich denke auch, dass Political Correctness nicht genug ist. Die Geschlechter in der Sprache gleich zu behandeln, bedeutet ja auch noch nicht, dass die Gehälter für die gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation gleich hoch sind; ganz im Gegenteil: es besteht noch immer ein Unterschied in der Bezahlung von über 20 Prozent. Das Binnen-I ist ein Weg, Frauen sichtbar zu machen, aber gleichzeitig sollten wir dafür kämpfen, dass ihre Qualifikationen gleich hoch geschätzt werden.

derStandard.at: Das eine schließt das andere also nicht aus?

Wodak: Es schließt sich überhaupt nicht aus; ich halte es für enorm wichtig, wie man in der Öffentlichkeit über andere spricht. Denn damit wachsen Jugendliche beispielsweise auf. Der öffentliche Bereich muss einerseits pluralistisch sein, es muss Debatten und Auseinandersetzung geben, aber andererseits muss das auf eine respektvolle Art passieren.

derStandard.at: Begriffe wie „Gutmenschen" und „Faschismuskeule" sind – auch im derStandard.at:-Forum – allgegenwärtig. Geht es hier nur darum, jene Menschen, die sich gegen Rassismen einsetzen, lächerlich zu machen?

Wodak: Es geht sicher darum, sie lächerlich zu machen, aber das kann auch sehr bedrohlich werden. Etwa, wenn Kritik verboten wird: Ich erinnere mich gut an Blau-Schwarz, als (Anm.: der damalige Justizminister Dieter) Böhmdorfer Kritiker der Regierung als sogenannte „Nestbeschmutzer" vor Gericht bringen wollte. Diese Kritik war also nicht erlaubt, während man sich selbst herausnahm, alle anderen ständig zu kritisieren. Die „Faschismuskeule" ist ja nur ein Instrument, Kritik an den eigenen umstrittenen Aussagen abzutun – mit Sätzen wie „Man darf ja gar nichts mehr sagen" oder „so habe ich das gar nicht gemeint", „das ist aus dem Zusammenhang gerissen". Wenn man also selbst kritisiert wird, dann wird sofort Klage angedroht. Da wird mit sehr unterschiedlichem Maß gemessen.

derStandard.at: Wo ziehen Sie selbst die Grenze, wo beginnt Ihre eigene sprachsensible „Wurschtigkeit"? Würden Sie einen Taxifahrer korrigieren, weil er „Zigeuner" statt „Roma" sagt?

Wodak: Wenn dieser Taxifahrer „Zigeuner" sagt, ohne es negativ zu meinen, dann hängt das von der Situation ab. Vielleicht würde ich sagen, „Sie meinen vermutlich Roma, oder?", und ich denke, das kann man freundlich machen und den Sachverhalt erklären. Das ist eine sehr situationsspezifische Frage, wie man wo damit umgeht, und welche Grenzen man sich selber setzt. Ich bin schon aus Taxis ausgestiegen, wenn jemand angefangen hat, rassistische Bemerkungen von sich zu geben. Manchmal ist man aber einfach zu müde und denkt sich, man kann nicht alle Kämpfe dieser Welt auf sich nehmen.

derStandard.at: Geht es in der akademischen Kreisen weniger rassistisch zu als in weniger gebildeten Schichten?

Wodak: Nein, Rassismus und Antisemitismus sind keine Sache der Ungebildeten. Ich bin auch in akademischen Kreisen schon dagegen aufgetreten, wenn jemand "wahnsinnig lustige" antisemitische Witze oder Roma-Witze erzählt hat. Alltagsrassismus und Sexismus findet man überall, er ist in gebildeten Kreisen nur etwas impliziter, man arbeitet dort mehr mit Anspielungen.

derStandard.at: Sie werden oft gebeten, einzuschätzen, wie „minderheitenfeindlich" Österreichs Medien sind, verglichen mit der Berichterstattung in anderen Ländern. Manche würden von Ihnen gerne hören, dass es in Österreich besonders schlimm bestellt sei – aber Sie scheinen her zu relativieren.

Wodak: Ich relativiere nicht, aber man muss das differenziert sehen. Wenn ich den STANDARD mit dem Guardian vergleiche, sehe ich keinen großen Unterschied. Wenn ich die Kronen Zeitung mit der Sun oder der Daily Mail vergleiche, wo es explizit fremdenfeindliche Berichterstattung gibt, dann sehe ich auch wenig Unterschiede. Aber natürlich ist die Kronen Zeitung insofern anders, als sie weltweit die meist gelesene Zeitung ist, gemessen an der Bevölkerungszahl.

derStandard.at: Anders gesagt: Die Berichterstattung über MigrantInnen ist in ihrer Art überall ähnlich, aber in Österreich hat sie mehr Einfluss.

Wodak: Ja. Die Reichweite ist eine andere, und auch die Funktion ist eine andere: Dadurch, dass die Kronen Zeitung rein statistisch gesehen fast in jeder Familie gelesen wird, kann man schon sagen, dass die Kronen Zeitung Meinung macht. (Maria Sterkl, derStandard.at, 27. Juli 2010)