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Lagerleben wie aus dem Bilderbuch: Regisseur David Pountney erzählt die Geschichte der "Passagierin" klar, aber schematisch. Brutale Szenen wirken dabei harmlos.

Foto: APA/Gindl

Die Oper nach dem Roman von Zofia Posmysz blieb szenisch und musikalisch harmlos.

Bregenz - Niemals vergessen! Die Mahnung, sich an den Holocaust zu erinnern, hat in letzter Zeit an Dringlichkeit gewonnen, zumal es Mode geworden ist, genau das infrage zu stellen. Aber während manche diskutieren, ob man überhaupt noch darüber reden müsse, ist die Frage, wie man es tut, dennoch kein Luxusproblem.

Dass man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben kann, bezweifelt zwar heute niemand mehr. Die Art und Weise, wie man sich dem Thema annähert, ist aber nach wie vor umstritten - man denke nur um die Aufregung, die das You-tube-Video des Holocaust-Überlebenden Adolik Kohn auslöste. Ob das Grauen darstellbar ist, bleibt jedenfalls fraglich. Das war die Problematik von Schindlers Liste und ist die Problematik jeder künstlerischen Annäherung an die systematische Vernichtung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs.

Für Mieczys³aw Weinberg (1919-1996), dem die Bregenzer Festspiele in diesem Sommer ein Porträt widmen, war die Oper Die Passagierin (1968) nach dem gleichnamigen Roman der Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz (geboren 1923) offensichtlich eine Form der Aufarbeitung. Eltern und Schwester wurden von den Nationalsozialisten ermordet, er selbst flüchtete in die Sowjetunion, wo er wieder verfolgt und eingesperrt wurde, während sich Schostakowitsch für seine Freilassung einsetzte. Dennoch blieb die Oper, für Schostakowitsch ein "Meisterwerk", wegen des Einspruchs der staatlichen Behörden zu Weinbergs Lebzeiten unaufgeführt. Die konzertante Uraufführung fand erst 2006 in Moskau statt, und so konnte man sie in Bregenz erstmals szenisch zeigen.

Librettist Alexander Medwedew hat Posmysz' Buch auf wenige Handlungsstränge reduziert, aber die Grundzüge der Handlung erhalten: Auf einem Ozeandampfer sieht die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa auf dem Weg von Deutschland nach Brasilien die totgeglaubte Lagerinsassin Martha (Elena Kelessidi). Sie beichtet daraufhin ihrem Mann Walter (Roberto Saccà) ihre Vorgeschichte, die in Form einer Rückblende den größten Teil der Oper bildet.

Ambitionierter Naturalismus

Das Bühnenbild von Johan Engels zeigt pragmatisch gleichzeitig Schiff und Lager, die Kostüme von Marie-Jeanne Lecca illustrieren schematisch den Kontrast der klar erzählten Geschichte von Martha und ihrem Verlobten Tadeusz (Artur Rucinski), die sich mit den Schicksalen der übrigen Häftlinge kreuzen. Regisseur David Pountney versucht es naturalistisch und zeigt ein Lagerleben wie aus dem Bilderbuch. Das ist zwar ambitioniert, muss aber scheitern, weil keine noch so handgreiflich und blutig dargestellte Prügelszene an die Realität heranreichen kann. Auch die vollkommene Macht der SS-Leute über ihre Gefangenen und deren hoffnungsloses Ausgeliefert-Sein, das der Text zum Ausdruck bringt, verliert sich auf der Bühne in einer Ästhetisierung, die einer Verharmlosung der Gräuel gleichkommt.

Die Produktion bemüht sich zwar redlich, die Opfer würdig zu zeigen, verfährt aber leider nicht in allem gleich behutsam. Nicht einmal der polnische Name von Auschwitz, Ooewiêcim, den der kraftvolle Prager Philharmonische Chor dutzendfach singt, wird richtig ausgesprochen. Für die Namen von Personen gilt das Gleiche: Sie heißen teilweise auch bei verschiedenen Sängern unterschiedlich.

Harte Schläge, Walzerklänge

Musikalisch geben sie freilich alle ihr Bestes, zuvorderst Michelle Breedt als eindringlich doppelzüngige, hinterhältige und schließlich selbst Höllenqualen durchleidende Lisa. In den Gesangsparts liegt allerdings auch schon ein Problem der Oper selbst. Das auskomponierte Heulen der Häftlinge ist zu stilisiert, um ihre Qualen auszudrücken. Und auch der aufwändige Orchesterpart, den die Wiener Symphoniker unter der energischen Leitung Teodor Currentzis' bewundernswert ausführen, bleibt meist illustrativ wie Filmmusik, gleich, ob es sich um harte Schläge, ätherische Trauermusik oder derbe Walzerklänge handelt, die wie Schostakowitsch-Imitate klingen.

Auch die Musik kapituliert - anders als zum Beispiel jene von Schostakowitsch selbst - also vor der Schilderung des Grauens und des Terrors. Dennoch: Während gerade eine Generation heranwächst, welcher der Holocaust kaum mehr ein Begriff ist, bleibt wohl die Form der Erinnerung zweitrangig, wenn man sich überhaupt erinnert. So gesehen waren es die berührendsten Minuten des Abends, als sich beim Schlussapplaus das ganze Publikum spontan für Zofia Posmysz erhob. (Daniel Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 23.7.2010)