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Elisabeth Leopold (84) war Augenärztin und ist Vorstandsmitglied der Stiftung Leopold.

 

 

Foto: APA/Pessenlehner

Thomas Trenkler sprach mit über Elisabeth Leopold ihren Mann, den vor drei Wochen gestorbenen Sammler Rudolf Leopold, und dessen museales Vermächtnis. 
 


Standard: Wie geht es Ihnen denn?

Leopold: Ich bin voller Tatendrang. Das hilft mir sehr. Wenn ich in meinem Garten meinen Feind empfange: Das ist mein Trost.
 


Standard: Bin ich Ihr Feind? Ich hatte mit Ihrem Mann zwar Auseinandersetzungen, er klagte den 'Standard'. Aber er zog die Klage zurück. Und wir haben immer wieder gut miteinander geredet. Er wollte uns ein Interview geben, leider ist es dazu nicht mehr gekommen.

Leopold: Das stimmt ja. Aber warum schreiben Sie: "Er verweigerte eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit?" Das heißt: Er wollte nichts hören von den Juden. Das stimmt nicht!
 


Standard: Mir schien es so, als bestünde kein großes Interesse, die Fälle aufzuklären. Mehrfach wiesen wir auf falsche oder lückenhafte Eintragungen in der Provenienzdatenbank des Leopold-Museums hin. Und es dauerte elf Jahre, bis es zu einer externen Provenienzforschung kam. Zum Glück liegen nun endlich die ersten Ergebnisse vor.

Leopold: Was ich mir wünschen würde: dass in der Zeitung nicht nur die Bilder abgebildet werden, die Raubkunst sind oder denen man eine solche andichtet, sondern auch die anderen, die unbelastet sind, die nie enteignet und von Rudolf Leopold rechtmäßig gekauft wurden. Arthur Stemmer zum Beispiel hat ihn mit offenen Armen empfangen.

Standard: Stemmer hat das Schiele-Gemälde "Entschwebung" die ganze NS-Zeit über besessen. Ich habe nicht verstanden, warum über diese Erwerbung ein Bericht angefertigt wurde: Das Bild stand nie in Verdacht, Raubkunst zu sein.

Leopold: Das ist richtig. Ich habe auch gefragt: "Wozu?" Das gleiche gilt für "Stilisierte Blumen vor dekorativem Hintergrund": Mit Bob Morton, dem Erben nach Max Morgenstern, von dem wir das Bild kauften, waren wir viele Male beim Heurigen. Aber egal.

Standard: "Häuser am Meer" hingegen wurde Jenny Steiner geraubt.

Leopold: Sie steht auch im Werkverzeichnis von Otto Nirenstein als Besitzerin. Aber woher sollten wir wissen, dass sie eine Jüdin war? Der Fall war uns erst klar, nachdem die Archive geöffnet worden waren, als ich die Vermögensanmeldung der Jenny Steiner in Händen hatte. Da sagte ich: "Um Gottes Willen, das ist ja gestohlen worden!" Die Nationalsozialisten wollten das Bild nicht fürs Führermuseum, so kam es ins Dorotheum. Und dort kaufte es der Fleischermeister Ernst, er gab es seinem Sohn, und der stellte es auf den Dachboden.

Irgendwann sagte jemand zum Leopold: "Da steht am Boden ein Bild, schauen Sie sich's doch einmal an." Aber darum geht es jetzt nicht. Was macht der Rudolf Leopold, als wir wussten, dass das Bild gestohlen worden war? Er geht zweimal zu Ariel Muzicant (Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde IKG, Anm.) und sagt zu ihm: "Herr Präsident, bitte helfen Sie mir! Wenn es irgendwie möglich ist, würde ich das Bild gerne für Österreich erhalten. Vielleicht kann man mit den Erben nach Jenny Steiner reden."

Standard: Ich dachte, er wollte es aus der Stiftung herauslösen - und nicht zurückgeben.

Leopold:  Er wollte das Bild zurückkaufen und die Sache mit seinem Geld in Ordnung bringen. Die Stiftung fasste auch den Beschluss, das Bild aus der Sammlung zu geben. Aber es gab diesen Pferdefuß: "wenn die Erben nach Jenny Steiner einverstanden sind." Mein Mann hätte die sechs Millionen aus seiner Schatulle bezahlt. Sie schreiben aber, er habe nur eine geringe Summe geboten: Sind sechs Millionen gering?

Standard: Wenn ich mich recht erinnere, wollte man anfangs nur zwei Millionen Euro bieten.

Leopold: Ja, das stimmt. Das wollte die Stiftung. Mein Mann sagte gleich: "Mit zwei Millionen könnt Ihr nichts erreichen! Ich biete sechs Millionen."

Standard: Warum wollte er das Bild nicht zurückgeben? Er hätte es nach erfolgter Restitution wieder kaufen können.

Leopold: Wir haben lang nach den Erben gesucht. Eine Enkelin haben wir gefunden, wir sind mit ihr im Imperial gesessen. Aber abgesehen von dieser lieben Dame sind die Erben Institutionen. Die können warten. Außerdem sind sie sehr beeinflusst von der IKG. "Kunst" und "Museum" sind für diese Institutionen Fremdwörter. Die sagen: "Wenn wir das Bild versteigern lassen, bekommen wir am meisten." Das finde ich nicht gar so fair. Warum Rudolf Leopold die "Häuser am Meer" nicht hergeben wollte? Weil er das Bild gern gehabt hat. Er hätte lieber das Geld gezahlt. Die sechs Millionen sind die Hälfte des geschätzten Werts.
 


Standard: Die Hälfte des 1993 geschätzten Werts, als der Vertrag mit der Republik abgeschlossen wurde. Heutzutage ist das Bild mindestens 20 Millionen Euro wert.

Leopold:  Vielleicht sogar noch mehr. Aber wodurch hat denn Schiele diese Preise bekommen?


Standard: Durch Ihren Mann.

Leopold:  Eben. Er hat 40 Jahre lang Schiele ausgestellt und immer wieder gesagt: "Das ist ein großartiger Künstler!" Er hat also, wenn Sie so wollen, einen kaufmännischen Blödsinn gemacht. Denn Schiele wurde so teuer. Und dann ist der Leopold dagestanden - und konnte nur mit großer Mühe und Schulden weitere Bilder kaufen.
 


Standard: Als Ersatz für die Sammlung, die er der Stiftung übergab, erhielt Ihr Mann in Raten 2,2 Milliarden Schilling.

Leopold: Sie meinen, mein Mann hatte viel Geld? Das stimmt so nicht. Mein Mann musste zunächst die Kredite zurückzahlen. Und sein ganzes Leben lang musste er zwischen Bildern wählen, weil er nicht so viel Geld hatte, um all das zu kaufen, was er für wichtig erachtet hat. Er stand einmal in der Früh vor zwölf Zeichnungen, von denen er welche verkaufen wollte, dem Serge Sabarsky oder dem Hans Dichand. Ich ging in die Ordination - ich war ja auch Augenärztin. Um sechs am Abend kam ich zurück. Und er stand noch immer vor den zwölf Zeichnungen. Er tat sich so schwer. Er musste immer sieben, immer überlegen: "Was geb ich her? Hab ich ein ähnliches Blatt? Ist dieses Bild wichtig, um Schieles Entwicklung darstellen zu können?"

Standard: Nach der Gründung der Stiftung hat Rudolf Leopold eine zweite Sammlung angelegt. Was soll mit ihr passieren?

Leopold:  Ich würde gern den Wunsch meines Mannes umsetzen und die Sammlung in irgendeiner Weise zusammenhalten. Den Standort werden mein drei Kinder entscheiden.
 


Standard: Welches Bild war denn das letzte, das Ihr Mann erwarb?

Leopold: Die "Medea" von Feuerbach. Er lag im Spital mit dem gebrochenen Bein und bat Andrea Jungmann (Chefin von Sotheby's, Anm.), ihn zu besuchen, weil er Schulden abzahlen wollte. Sie kam. Er hatte aber den neuen Katalog studiert. Er sagte, er wolle auf die "Medea" bieten. Sie sagte: "Gerne, Herr Direktor. Ich brauche nur die Garantie, dass Sie 30.000 Euro flüssig haben." Er steigerte dann vom Bett aus - auf 280.000 Euro. Weil er es unbedingt haben wollte. Er sagte zu mir: "Ich hätte mir das eigentlich nicht leisten sollen. Aber es ist so schön."
 


Standard: Ihrem Mann ist es ja dann gesundheitlich wieder besser gegangen. Er hat sogar seinen 85. Geburtstag nachgefeiert.

Leopold: Er war nicht mehr ganz auf der Höhe. Aber er wollte den Termin nicht noch einmal verschieben. Die Leute waren alle sehr nett zu ihm. So sehr ich es bereue, weil er sich zu viel zugemutet hat, so sehr freue ich mich, dass er diesen Abend noch erlebt hat. Er war eine Art Abschluss.

Standard: Woran ist Ihr Mann eigentlich gestorben?

Leopold: Er bekam eine Darmgrippe. Sie hat sich nach Wochen aufs Herz geschlagen.
 


Standard: Ist es nicht eigenartig, dass Ihr Mann und Hans Dichand fast gleichzeitig gestorben sind? Beide standen bis zum Schluss auf der Kommandobrücke.

Leopold:  Ja, das ist eigenartig. Ich glaube aber, dass mein Mann mehr hinterlässt. Meine Kinder haben immer gesagt: "Unser Vater wird nie alt werden. Der ist mit seiner Kampfeslust immer halbert in der Pubertät." Deshalb hat er es Ihnen auch so übel genommen, dass Sie über die Schiele-Ausstellung in Hamburg nicht in Hymnen verfallen sind. Er fand es so wichtig, in Hamburg aufzutreten. Und dann wurde die Abbildung im 'Standard' auch noch seitenverkehrt abgedruckt!
 


Standard: Sie haben ein Elefantengedächtnis - wie Ihr Mann. Die Schau fand 1996 statt. Wie geht es jetzt weiter?

Leopold:  Es wird ein neuer Direktor kommen. Für diese Entscheidung lassen wir uns im Vorstand ein bisschen Zeit. Lassen wir einmal den armen Leopold begraben sein! Für 2011 bereiten wir eine besondere Schiele-Ausstellung vor. Wir wollen Bilder mit Briefen und Skizzen ergänzen, um sein Leben und Menschentum nachzuerzählen.
 


Standard: Hat Ihr Mann noch weitere Projekte hinterlassen?

Leopold: Er wollte immer eine Chaim-Soutine-Ausstellung machen. Soutine hätte sehr in sein Konzept gepasst - mit diesen abgründigen Themen und dieser unglaublich expressiven Malerei. Und dann natürlich Florentina Pakosta. Die hat er sehr geschätzt. Zudem gibt es jetzt den Austausch mit der Sammlung Beyeler. Wir waren im Winter in Basel. Dort hat sich Rudolf Leopold das Picasso-Bild "Femme" von 1907 erkämpft. Wir kennen das Bild seit vielen Jahren. Es war damals verkäuflich. Leopold wollte das Bild unbedingt für Österreich. Es hätte 100 Millionen Schilling gekostet. Aber der damalige Minister sagte, er fördere mit dem Geld lieber junge Künstler. Ich bin sehr dafür, junge Künstler zu fördern. Aber das sind doch zwei Paar Schuhe!
 


Standard: Dieser Picasso kommt als Leihgabe nach Wien?

Leopold:  Ja, als Teil der Ausstellung "Giacometti - Cézanne - Picasso", die am 17. September eröffnet wird. Wir haben uns dafür ausgeblutet. Denn in Basel gibt es ab 26. September Wien 1900 mit unseren Schieles und Klimts zu sehen. Ernst Beyeler wollte den Picasso trotzdem nicht hergeben. Er sagte noch am Totenbett (er starb am 25. Februar 2010, Anm.): "Das Bild kommt nicht aus dem Haus!" Rudolf Leopold sagte: "Sie wollen, dass wir die Sammlung Beyeler präsentieren - und dann geben Sie das interessanteste Stück nicht dazu? Einen Miró und Yves Klein kann ich mir überall ausborgen, aber den Picasso nicht! Das ist ein Schlüsselbild des europäischen Kubismus!" Das hat er verstanden. Das Bild kommt also nach Wien, das hat Rudolf Leopold erstritten.

Das wird uns abgehen: Diese Unbedingtheit, mit der er sich für die Kunst eingesetzt hat! Ich glaube, man hat ihm sehr unrecht getan. Man hat ihm geneidet, dass er eine solche Sammlung aufgebaut hat. Er hat so viel erreicht: Das ist für viele aufreizend. Ich war 2008 bei der Buchpräsentation von Lisa Fischer. In ihrem Buch über Sammlung von Heinrich Rieger griff sie meinen Mann an. Ich sagte: "Das stimmt nicht, was Sie da schreiben!" Da stoßen mich junge Männer weg und schreien: "Alles Raubkunst bei euch!" Woher nehmen diese Menschen diese Überzeugung her? Unser Haus als "Raubkunstmuseum" hinzustellen - das kann ich nicht verstehen.
 


Standard: Das war eine Aktion der IKG Ende 2008. Auch wenn die Gespräche mit Muzicant gescheitert sind: Warum ist das so eskaliert?

Leopold: Rudolf Leopold hätte damals gerne geklagt. Aber die Stiftung wollte das nicht. Das hat ihn schwer getroffen. Ich bin nach wie vor dafür, der IKG die Hand zu reichen und sie noch einmal zu fragen: "Wie lösen wir das Problem?"
 


Standard: Der Kampf um das "Bildnis Wally" ist nun entschieden.

Leopold:  Nach zwölf Jahren ist man froh, wenn man sich einigen kann - selbst unter Opfern, die man zu bringen hat. Die Vorstandsmitglieder des Bundes wollten zunächst keine Einigung. Sie dachten, man gewinnt den Prozess. Wir waren daher gezwungen, den Prozess zu führen. Rudolf Leopold wollte von Anfang an die Einigung. Die "Wally" ist eben das wunderschöne Gegenstück zu den "Judenkirschen" ("Selbstbildnis mit Lampionfrüchten", Anm.). Die beiden Bilder gehören zusammen.

Standard: Sie meinten, dass Lea Bondi-Jaray, wenn sie wirklich Anspruch auf das Bildnis gehabt hätte, nach dem Krieg auch Möglichkeiten gehabt hätte, es zurückzubekommen. Denn sie stand in engem Kontakt mit der Österreichischen Galerie, die das Bild damals besaß. Und sie hätte sich z. B. an Fritz Nowotny wenden können.

Leopold:  Er war ein wunderbarer, gescheiter Mensch, der für enteignete Juden alles getan hat. Vor ein paar Jahren habe ich folgende Begebenheit erfahren: Er sah in der Schiele-Ausstellung 1948 in Rom das Bild "Mutter mit zwei Kindern" - und sagte sogleich: "Das hat doch der Jenny Steiner gehört!" Durch ihn haben die Steiners das Bild wiederbekommen. Nowotny hätte sicher auch Jaray geholfen!
 (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2010)