Rom - 18 Jahre nach der Ermordung des sizilianischen Mafia-Jägers Paolo Borsellino durch Killer der Cosa Nostra könnte die Wahrheit über die Auftraggeber des Anschlags ans Licht kommen. "Wir stehen einen Schritt vor der Wahrheit. Das Problem ist, ob die Politik in der Lage sein wird, diese Wahrheit zu ertragen", sagte der Staatsanwalt von Palermo, Domenico Gozzo, nach Angaben italienischer Medien am Mittwoch. Gozzo ermittelt über mögliche Verstrickungen zwischen Mafia und Politik hinter dem Anschlag, bei dem Borsellino und seine fünf Leibwächter ums Leben gekommen waren.

Auch der Staatsanwaltschaft von Caltanissetta, Sergio Lari, sorgte mit seinen Aussagen für einen Eklat. "Aus den Elementen, die wir gesammelt haben, scheint es, dass nicht nur die Mafia den Anschlag auf Borsellino organisiert hat. Wir setzen uns voll ein, um zur Wahrheit zu gelangen", erklärte Lari.

Neue Untersuchungen um Kontakte zwischen Gerheimdienstlern und Mafia

Im vergangenen Mai war die Untersuchung des Anschlags neu aufgerollt worden. Ein italienischer Geheimdienstagent war in den Sog der Ermittlungen geraten. Belastet wurde er von einem abtrünnigen Mafioso, der sich zur Zusammenarbeit mit der Justiz entschlossen hatte. Der Geheimdienstagent hatte enge Kontakte zum hochrangigen Geheimdienstfunktionär Bruno Contrada, der wegen Verstrickungen mit der Cosa Nostra zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Seit Jahren wird in Italien über eine Verwicklung von mit der Mafia verbundenen Geheimdienstagenten in den Anschlag auf Borsellino und seinem ebenfalls im Jahr 1992 bei einem Sprengstoffanschlag getöteten Kollegen Giovanni Falcone spekuliert. Die neuen Untersuchungen kreisen um die undurchsichtigen Kontakte zwischen Geheimdienstagenten und Mafia-Bossen, die gegenseitig Informationen ausgetauscht haben sollen.

Der Anti-Mafia-Oberstaatsanwalt Piero Grasso betonte, dass für den Anschlag auf Borsellino nicht nur die Mafia verantwortlich sei. "Wir müssen weiterarbeiten, damit Klarheit über die Auftraggeber dieses Anschlags geschaffen wird", meinte Grasso. Er bezog sich auf den in Justizkreisen gehegten Verdacht, dass die Anschläge auf Borsellino und Falcone nicht nur auf die Cosa Nostra, sondern auch auf umstürzlerische politische Gruppen, auf untreue Mitglieder der Geheimdienste und okkulte Freimaurerlogen zurückzuführen seien. Um diesen Verdacht wurden neue Ermittlungen im Fall Borsellino aufgenommen.

Großdemonstration zu Ehren Borsellinos in Palermo

Tausende Menschen beteiligten sich am Montag in Palermo an einer Großdemonstration zu Ehren Borsellinos. Die Demonstranten zogen vor den Justizpalast von Palermo, in dem Borsellino seine Prozesse gegen mächtige Mafia-Bosse geführt hatte. An der Kundgebung beteiligten sich die Angehörigen Borsellinos sowie mehrere hochrangige Politiker.

Staatschef Giorgio Napolitano plädierte für neue Ermittlungen zu den Anschlägen, die Italien Anfang der Neunziger Jahren erschütterten. "Die Institutionen müssen zusammenarbeiten, damit die volle Wahrheit über diese Anschläge ans Licht kommen kann. Das verlangen die Familienangehörigen der Opfer und das ganze Land", sagte Napolitano in einem Schreiben an Agnese Borsellino, Witwe des ermordeten Staatsanwalts.

"Borsellino ist ein Held der Republik, sein Kampf hat Millionen von Sizilianern Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben", so der Mafia-Experte und Oppositionsparlamentarier Luciano Violante.

Die Ermordung Borsellinos und Falcones markierte in Italien einen Wendepunkt in der Haltung der Bevölkerung zum organisierten Verbrechen. Kurz nach Falcones Ermordung wurde eine neue Anti-Mafia-Gesetzgebung verabschiedet, die abtrünnigen Mafiosi beträchtliche Strafmilderungen garantierte. Dank der Kooperation der reuigen Kronzeugen konnten die italienischen Behörden in den Jahren nach dem Tod des Staatsanwalts wichtige Erfolge im Kampf gegen die Cosa Nostra verbuchen. (APA)