Niemand versteht so recht, wozu wir die allgemeine Wehrpflicht noch brauchen. Dennoch hält vor allem die SPÖ an ihr fest, bis hinauf zum Bundespräsidenten. Das Motiv ist ehrenwert und sitzt tief in der sozialdemokratischen Seele. Nur ein Heer, das aus Wehrpflichtigen besteht, ist ein demokratisches Heer, lautet die These. Sie hat ihre Wurzel im Bürgerkrieg von l934, als das aus Berufssoldaten bestehende Bundesheer mit Kanonen auf die Wohnhäuser der Arbeiter schoss.

Dieses Trauma wirkt nach. Ein Berufsheer lässt sich bei Bedarf gegen die eigene Bevölkerung losschicken. Ein Volksheer wäre dazu nicht bereit. Wehrpflichtige schießen nicht auf die eigenen Familien. Deshalb denken sozialdemokratische Politiker beim Thema Aufhebung der Wehrpflicht zuallererst an die Gefahr eines Staats im Staate, an Rambos, Söldner und Putschisten.

Die Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht führen darüber hinaus auch deren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft an. Die Armee als Schule der Nation. Beim Militär dienen die Söhne der Akademiker wie der Proletarier gemeinsam. Einheimische und Migranten erleben Gemeinschaft und Kameradschaft. Theoretisch.

In der Praxis wählen die jungen Bildungsbürger freilich überproportional den Zivildienst. Nicht aus Pazifismus - auf Menschen geschossen wird beim österreichischen Bundesheer sowieso nicht -, sondern weil sie den Truppendienst als sinnlos empfinden. Man wollte lieber "etwas Sinnvolles" tun, ergibt eine Rundfrage im privaten Umfeld. Wache schieben und das System erhalten - nicht zu reden vom Assistenzeinsatz im Grenzgebiet - sei gestohlene Zeit, leere Kilometer, sagen diejenigen, die ihre sechs Monate abgedient haben. Und wer sich wirklich für seriöse militärische Aufgaben interessiert, etwa Auslandseinsätze, meldet sich ohnehin freiwillig und dient länger.

Die einzige Gelegenheit, bei der das Bundesheer wirklich ungeteilte Zustimmung erfährt, ist dessen Einsatz bei Naturkatastrophen. Aber sind gelegentliche Lawinenabgänge und Überschwemmungen wirklich Grund genug, jedes Jahr 25.000 junge Männer "zu den Waffen" zu rufen?

In Zeiten des Sparens wirkt unser Bundesheer vollends ein wenig lächerlich. Panzer und Kanonen eingemottet im Depot. Die paar Geräte, die man sich noch leisten kann, nur ganz spärlich im Gebrauch, wie das Sonntagsgeschirr in der Vitrine, das nur zu besonderen Gelegenheiten hervorgeholt wird. Man fragt sich, was die Soldaten eigentlich die ganze Zeit machen und auf welchen Konflikt sie vorbereitet werden sollen, wenn ihr Handwerkszeug nicht verfügbar ist.

Die Kronen Zeitung führt derzeit eine Kampagne gegen die allgemeine Wehrpflicht. Das sollte einen stutzig machen, aber ausnahmsweise haben in diesem Fall die Populisten recht:

Ein kleines, professionell agierendes Berufsheer wäre keine Gefahr für die Demokratie. Was für demokratische Musternationen wie Briten und Schweden recht ist, sollte den Österreichern billig sein. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2010)