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Im Reich der Müdigkeit: Ein Besucher leistet in Bregenz Cosima von Bonins erschöpftem Hasen Gesellschaft.

Foto: Ennio Leanza/ EPA

Im Kunsthaus Bregenz hat die deutsche Künstlerin Cosima von Bonin mit Stoffskulpturen und Alltagsgegenständen ein nachdenkliches Raumszenario geschaffen, das sie „Fatigue Empire" nennt. Überlegungen zur Gegenwart, die Raumlabor Berlin mit "Bye Bye Utopia" ergänzt.

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Das Nichts ist gefürchtet. Das Nichts als bedrohliche Leere, als Umkehrung von Existenz und ein Albtraum für den kreativen Einfall. Wortgewordene "Nichts" eingestickt in lauter kleine Sprechblasen aus Stoff säumen einen grauen Wollweg am Lodengrün. Nichts, nichts, nichts, wiederholen diese am Stoffbild einschläfernd. Nichts tun, nichts denken, zu müde. Willkommen im "The Fatigue Empire", willkommen in Cosima von Bonins erschlafftem, müden Reich. "Wer die Treppe nimmt, ist selber schuld," will ein Schild Mühsal ersparen.

Es ist in der Tat eine mit viel Stoff ausgeschlagene Welt des Schlummerns, die die Künstlerin (1962 geboren in Kenia) im Kunsthaus Bregenz arrangiert hat. Diesmal ist es keine Symphonie in drei Stockwerken, sondern eine plüschige und mit Elektro-Ambient von Moritz von Oswald bespielte dröge Oase des Müßiggangs in der augenlose Plüschhunde auf Kollegen herumlümmeln und wo das Näschen des erschöpften Tweed-Hasen tief auf seinen Nabel herunter gesackt ist. Wie erschossen lassen Kaninchen Pfoten und Löffel über die Tischkante baumeln, kraftlose Krabben und Krebse hängen schlaff auf den Möbeln. Schläfrig - zumindest auf den ersten Blick.

"Ich bin nicht politisch, ich verkünde keine Botschaften, und so genannt Frauenkunst gibt es für mich nicht", sagt die Künstlerin 1992 und auch heute, 18 Jahre später, ist wenig Interpretatives über die verrätselten Arbeiten von Cosima von Bonin zu lesen. Man könne in ihre Arbeiten, die sich in der Tat keinem klassischen Werkbegriff zuordnen lassen, nichts heineindeuten oder herauslesen. Es gäbe da schlichtweg keine verborgenen Bedeutungen, stellte Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow 2007 fest, dem Jahr in dem sie an der Documenta teilnahm. Da gäbe es nichts zu verstehen oder zu lernen.

Bonins Arbeit ist nicht nur gegen die Interpretation gerichtet, sondern befindet sich bereits jenseits davon, erklärte der Popbarde, der oft Teil jenes interdisziplinären Hofstaates ist, den die in Köln lebende Künstlerin in ihre Ausstellungen einzuladen pflegt. Diese von ihr kuratierten Kollaborationen sind auch eine Möglichkeit Bonins, sich dem klassischen Begriff von Autorschaft zu entziehen, leiht sie doch selbst in ihrer Kunst von anderen - "appropriiert" wie das in der Praxis heißt - aktuell etwa das Rollwagerl vom Technikteam wie Kurator Rudolf Sagmeister augenzwinkernd bemerkt.
Zu Gast im nachdenklich und geheimnisvoll geratenen müden Imperium (für das Bonin mit Haute Couture-Näherinnen ganz und gar nicht müßiggängerisch 55 neue Arbeiten geschaffen hat) sind neben dem Elektronikstar Moritz von Oswald auch posthum der österreichische Autor Thomas Bernhard.

Bühnenartige Installationen wie man sie kennt, Räume, die angefüllt sind mit Objekten und Materialien des Alltäglichen. Ein echtes Auto, eines aus Pappe, eines aus Holz, abgeknickte Laternchen.

Aber: Nichts hineindeuten, nichts herauslesen, erinnert man sich. Auch Bonin selbst verrät nichts, außer: Man könne ihre Arbeiten mögen oder nicht mögen. Für sie wäre beides okay. - Okay. Na gut. Aber darf man die Arbeiten gut finden und gleichzeitig in die "Assoziationsfalle" tappen vor der man intellektuell gewarnt wurde; darf man nach den gelegten Hinweisen schnappen, sie in Interpretationsmuster einfügen, an Erinnerungen messen? Oder wäre das zu banal? Im "Fatigue Empire", dem im Oktober im Witte de With in Rotterdam eine „Far niente"-Ausstellung mit ihrer Figur der "Lazy Susan" folgt, vielleicht doch eine Auseinandersetzung mit Faulheit, Produktivität und dem seit der Industrialisierung verbotenen Stillstand vermuten? Das Innehalten wird zur Unmöglichkeit, zum gesellschaftlichem Tabu. Der Pinochchio, der hoch oben auf seinem Schiedsrichtersessel thront ist eine Provokation, wenn er als "Tagedieb" im öffentlichen Raum in Wien am Graben sitzt. Der trägt das Nichtstun zur Schau, während andere es tunlichst vermeiden, unbeschäftigt zu sein. Ihre Fadesse im Shoppingrausch zerstreuen.

"Mehr wie die Erinnerung eines Shrimp", verrät eine wackelige Stickschrift Bonins. Jaja, die Garnele mit ihrer Sekundenerinnerung, sie lebt für den Moment. Ebenso wie die kuscheligen Tierchen, die bei näherem Betrachten abgründig werden. Das bekotzte Küken etwa, das starr vor sich hin glotzt, nennt Bonin in einem ihrer raren Interviews "ein böses Tier". Der herumlungernde Hummer Lacancan und die auf rosa Flößen dösenden Stofftiere dümpeln mit ihrem Gefährt nirgendwohin. Stillstand, denn nicht einmal feucht sind die Planken.

Stattdessen ist man gut ausgeleuchtet bereit, die kollektive und mit "Risiko" spielen vertriebene Langeweile auch vor Kameras vorzuführen. In der Stille wird der Mensch sein Nichts fühlen, seine Ohnmacht, seine Leere, schrieb Blaise Pascal: "Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung". Von Bonins müde Bewohner fürchten sich nicht ständig vor der Langeweile; sie ringen ihr sogar zwischendurch Ideen ab.

Und ist man hinabgestiegen durch das "Fatigue Empire" wird der Besucher mit einer dazu passenden Heilsbotschaft verabschiedet: "Bye Bye Utopia" steht in großen Hollywoodlettern auf einem "Berg" aus Plattenbautüren - recycelte Utopien wenn man so will. Der räumliche Eingriff stammt von Raumlabor Berlin, einer achtköpfigen Gruppe, die an den Grenzen von Architektur agiert. Kunsthaus-Direktor Yilmaz Dziwior hat sie eingeladen, um die Kub-Arena als experimentelle Plattform zu etablieren. Raumlabor Berlin: "Wir glauben nicht, dass Räume, die man baut per se funktionieren, sondern dass man sie aktivieren muss."

  (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 7. 2010)