"Schätzungsweise leben mehr als 300.000 Kinder auf den Straßen in der Ukraine, davon sind rund 38 Prozent HIV-positiv durch Drogenmissbrauch und Prostitution."

Foto: Zoran Dobric

"Aufgrund der Nähe zu Österreich und der epidemischen Zustände in einem benachbarten Land, wird AIDS erstmals greifbar. Es ist nicht mehr ein Problem, das weit weg ist!"

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derStandard.at: Warum engagieren Sie sich speziell für die Ukraine?

Gery Keszler: In keinem europäischen Land wächst die Zahl der HIV-Infizierten so rasch wie in der Ukraine. Mehr als eine halbe Million Menschen sind infiziert. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Infektionen mit dem tödlichen Virus verzwanzigfacht. Die Epidemie breitet sich nur 370 Kilometer von der österreichischen Staatsgrenze entfernt ungehindert aus.

Besonders hoch ist die Infektionsgefahr für Kinder und junge Frauen, die aus Not von zu Hause weglaufen: Armut, Gewalt und Drogenmissbrauch haben viele Familien zerbrechen lassen, immer mehr fliehen auf die Straße. Schätzungsweise leben mehr als 300.000 Kinder auf den Straßen in der Ukraine, davon sind rund 38 Prozent HIV-positiv durch Drogenmissbrauch und Prostitution.

derStandard.at: Warum infizieren sich gerade in der Ukraine so viele Menschen mit HIV?

Keszler: Es ist eine Katastrophe mit vielen Ursachen. Waren es zu Beginn der Epidemie fast ausschließlich Menschen, die durch gebrauchte Spritzen das HI-Virus weitergaben, verbreitet sich das Virus mittlerweile verstärkt auch durch sexuelle Kontakte in der Allgemeinbevölkerung. Frauen sind hierbei mehrfach gefährdet, wenn sie der Prostitution nachgehen.

Außerdem ist die Mutter-Kind-Transmission weiterhin hoch, auch wenn laut UNAIDS (Anm.: Stand 2008), bei 95 Prozent aller schwangeren Frauen in der Ukraine 2006 ein HIV-Test durchgeführt werden konnte und 93 Prozent der positiv Getesteten während der Schwangerschaft und der Entbindung eine Antiretrovirale Therapie erhielten. Gefährdet sind zudem Straßenkinder, die frühzeitig mit dem Drogenkonsum beginnen und keinen Zugang zu Beratung, Test und medizinischer Versorgung haben.

derStandard.at: Fahren Sie regelmäßig selbst hin? Und welche Eindrücke haben Sie von der Situation vor Ort?

Keszler: Ich konnte mir vor wenigen Wochen mit unserem Internationalen Partner, der Elton John AIDS Foundation, einen persönlichen Eindruck von der katastrophalen Situation vor Ort machen. AIDS ist in der Ukraine eine verdrängte Krankheit, offizielle Stellen negieren die Problematik und leisten daher kaum Unterstützung. Die gibt es vorwiegend von internationalen Non-Profit Organisationen.

Ich habe mich davon überzeugen können, dass unsere Hilfe wirklich ankommt, und dass wir wirklich einen großen Unterschied im Leben von vielen Menschen machen können. Gleichzeitig habe ich gesehen, wie schlimm die Zustände tatsächlich sind und wie viel mehr Hilfe notwendig ist. Das hat mich zutiefst betroffen gemacht.

derStandard.at: Was hat sich seit Beginn Ihres Engagements verändert?

Keszler: Wir stehen noch am Anfang unserer Unterstützung, aber schon jetzt sehen wir einen Hoffnungsschimmer im Angesicht einer Katastrophe.

derStandard.at: Welcher Anteil am Erlös des Life Ball kommt ukrainischen Projekten zugute?

Keszler: Wir zeichnen heuer mit dem Crystal of Hope ein Projekt der Elton John AIDS Foundation aus, den Odessa Charity Fund "The Way Home"-Projekt. Die von Magna gestiftete Summe von 100.000 Euro wird dem Gründer von Way Home Sergey Kostin übergeben.

derStandard.at: Um welche Projekte handelt es sich konkret?

Keszler: AIDS LIFE unterstützt die Elton John AIDS Foundation und das Way Home Projekt schwerpunktmäßig bei der HIV/AIDS Prävention von Straßenkindern sowie jungen Prostituierten und Familien. Folgende Aktionen werden mit den Geldern des Life Ball 2010 umgesetzt: Way Home geht mit einer "social patrol" gezielt auf Straßenkinder und -familien zu, betreibt Aufklärung und bietet kostenfreie HIV/AIDS-Tests an. Für all jene, die positiv getestet werden, bietet Way Home umfangreiche Hilfe, Folgeunterstützung und Behandlung.

Eine Aktion widmet sich der Minderung der HIV-Infektionsgefahr in Randgruppenfamilien mittels Etablierung einer Anlaufstelle für unverheiratete Mütter und gefährdete Familien. Dort erhalten diese neben psychologischer und sozialer Unterstützung auch Aufklärung in Bezug auf Drogensucht. In dieser Einrichtung wird auch ein Tageszentrum für HIV-positive Mütter betrieben, in dem Kinder betreut werden, während die Mütter zum Beispiel auf Jobsuche sind, medizinische Behandlung in Anspruch nehmen oder Behördenwege erledigen. Diese Maßnahme könnte den Kreislauf unterbrechen, da die Kinder bis dato in solchen Fällen alleine auf den Straßen bleiben.

derStandard.at: Wird das Thema HIV/AIDS seitens der ukrainischen Politik tabuisiert?

Keszler: Bis dato ja, die erste landesweite HIV/AIDS-Kampagne gab es beispielsweise erst zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember 2009.

derStandard.at: Wie wird Ihre Initiative vor Ort aufgenommen? Stoßen Sie auf Zustimmung oder auf Widerstand?

Keszler: HIV und AIDS ist noch immer ein großes Tabuthema in der Ukraine. Initiativen von außen sind notwendiger denn je und seitens der Politik und Öffentlichkeit willkommen. - Im Gegensatz zu Russland, wo die Elton John AIDS Foundation seit längerem versucht eine Niederlassung zu gründen um Hilfe und Unterstützung zu leisten.

derStandard.at: Wie gestalten sich Ihre Kontakte in der Ukraine?

Keszler: Primär ist unser Ansprechpartner die Elton John AIDS Foundation, von der wir regelmäßig Berichte erhalten. Jedoch sind wir per Email und Facebook auch mit den ProjektleiterInnen der von uns unterstützten Projekte in Kontakt.

derStandard.at: Wie wird Ihre Ukraine-Initiative in Österreich aufgenommen?

Keszler: Bei unserer Reise in die Ukraine haben uns erstmals unsere Sponsoren T-Mobile und REWE begleitet, die beide ihre Spende dem HealthRight-Projekt in Kiew - einer Organisation vorwiegend rund um die Prävention gegen HIV und AIDS bei Mädchen und jungen Frauen - gewidmet haben. Beide Unternehmen haben in der Ukraine Geschäftsstellen und nehmen ihr Engagement und die Verantwortung sehr ernst.

Aufgrund der Nähe zu Österreich und der epidemischen Zustände in einem benachbarten Land, wird AIDS erstmals greifbar. Es ist nicht mehr ein Problem, das weit weg ist! (tin, derStandard.at, 20. Juli 2010)