Wall Street gegen Main Street, gierige Börsenhaie gegen einfache Leute. So lautete der Kampfruf nach dem Ausbruch der Finanzkrise und vor den Wahlen für die US-Präsidentschaft im Herbst 2008. Jetzt, gut anderthalb Jahre später, haben Präsident Barack Obama und seine Demokraten ein 2300 Seiten starkes Gesetz zur Finanzmarktregulierung durch den Kongress geboxt, das die Main Street vor den Abzockern im Nadelstreif schützen soll. Es ist die größte Reform in diesem Bereich seit der Großen Depression 1933.
Auch wenn das Gesetz im Laufe der Verhandlungen verwässert worden ist, wenn viel von seiner Implementierung abhängt - es ist ein beeindruckender innenpolitischer Triumph für Obama. Mit der im Frühjahr verabschiedeten Gesundheitsreform und dem 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket von 2009 werden die neuen Finanzmarktregeln die Geschicke von Generationen von Amerikanern beeinflussen. Allein: Die Wähler scheinen ihm das nicht zu danken. „Es ist keine Frage mehr, ob das Weiße Haus ein Geschäft abschließen kann. Das Problem ist, dass das Land nicht mag, was ihm da verkauft wird", ätzte das Wall Street Journal kurz nach der letzten Abstimmung für die Reform.

Ein Blick auf die US-Meinungsforschung legt diesen Schluss nahe: In einer Ipsos-Umfrage gaben 38 Prozent der Befragten an, noch nie von der Finanzmarktregulierung gehört zu haben. Weitere 33 Prozent kannten sie, hatten aber keine Ahnung, was denn in dem Paket enthalten sei. Die Washington Post und ABC News erhoben, dass die Zustimmung für die Arbeit des Präsidenten derzeit nur noch bei etwas mehr als 40 Prozent liegt. Vor 18 Monaten waren es noch 60 Prozent. Und bei CBS News waren gut die Hälfte der Befragten der Ansicht, dass sich der Präsident zu wenig der Wirtschaftslage widme. Nur 13 Prozent gaben an, dass Obamas Wirtschaftspolitik ihre Lage verbessert habe.

Der Präsident selbst kommentierte die Werte zuletzt lakonisch: „Ich habe meine eigenen Meinungsforscher. Ich weiß, dass vieles in Umfragen nicht ankommt. Aber es geht darum, das Richtige für Amerika zu tun." Und im Übrigen halte er - im Gegensatz zu anderen - seine Wahlversprechen.
Das ist ziemlich viel Coolness für einen Präsidenten, dessen restliche Amtszeit wesentlich vom Ausgang der Kongresswahlen in etwas mehr als 100 Tagen abhängt. Andererseits: Im Gegensatz etwa zu Bill Clinton hat Obama die großen Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus für schnelle Reformen genutzt. Schon Monate vor seinem Wahlsieg begannen die Planungen für die entscheidenden ersten 18 Monate seiner Amtszeit. Obama hat in dieser kurzen Zeit mehr erreicht als manch anderer Präsident in zwei Amtsperioden. Sein politisches Schicksal - und das weiß Obama so gut wie kein anderer - hängt von der Wirtschaftsentwicklung ab und davon, ob es die Republikaner und ihre Vorfeldorganisationen wie die Tea-Party-Bewegung nachhaltig schaffen, den Staat als Problem und nicht als Lösung dazustellen.

Alle Prognosen für die Midterms gehen von großen Verlusten für die Demokraten aus. Eintreffen muss das - wie etwa 1982 unter umgekehrten Vorzeichen für Präsident Reagan - nicht. Und wenn doch, dann muss Obama eben ein paar Kompromisse mehr machen. Sein Plansoll hat er ja erfüllt. Und nur nebenbei: Nach den Midterm-Wahlen beginnt ohnehin der Wahlkampf um die Präsidentschaft 2012. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.7.2010)