John Gray, "Von Menschen und anderen Tieren. Abschied vom Humanismus" . € 20,50 / 246 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2010

Coverfoto: Klett-Cotta

John Gray, "Politik der Apokalypse. Wie die Religion die Welt in die Krise stürzt" . € 23,60 / 363 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2009

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Dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, das glauben auch viele Menschen noch, die gar nicht mehr an Schöpfung oder einen Schöpfergott glauben. Es ist gewissermaßen eine Falle, die das Bewusstsein den Menschen stellt: Weil wir über uns nachdenken, halten wir uns für etwas Besonderes. Und in dieser Perspektive scheint es dann nur natürlich, dass der Mensch - wie es ja auch schon in der Bibel steht - sich die Erde "untertan" macht, dass er Bohrlöcher in den Meeresgrund treibt, Forschungsstationen in der Antarktis baut, durch Emissionen das Klima verändert und nach Kräften den Wohlstand der Nationen vermehrt.

Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubten auch vernünftige Geister, dass das alles zu einem guten Ende kommen könnte - zu einer Menschheit, die mit sich und der Natur im Reinen wäre, die keine Kriege mehr führen müsste und keine falschen Götter verehren würde. Optimismus war eines der wesentlichen Momente der Aufklärung, und nicht nur am Schwinden dieses Optimismus ist deutlich zu ersehen, dass diese Form der Aufklärung nun an ein Ende gekommen ist.

Das liegt daran, meint der britische Ideenhistoriker John Gray, dass schon der nächste Schritt dieser Aufklärung kommen muss: vollständige Desillusionierung der menschlichen Gattung über sich selbst.

Konkret heißt das für ihn, dass er das Ende des Humanismus ausruft, das Ende der Religion vom Menschen. Von Menschen und anderen Tieren. Abschied vom Humanismus heißt das aktuelle Buch von Gray in der kürzlich erschienenen deutschen Übersetzung (de facto ist Straw Dogs, so der englische Originaltitel, schon 2002 erschienen, aber die dazwischen vergangenen acht Jahre haben ja genügend weiteren Anlass zu einer düsteren Weltsicht gegeben).

John Gray, der bis zu seiner Emeritierung 2008 an der London School of Economics gelehrt hat, sieht sich in der Tradition der großen Entzauberer. Er will die Menschen vom falschen Glauben abbringen, und nachdem die Religion in weiten Kreisen der westlichen Welt als überwunden erscheinen kann, nimmt er sich den nächsten Glauben vor: den der Menschen an sich selbst. Der Begriff Humanismus, den er dafür in Anschlag bringt, ist schillernd, meint aber im Grunde nur eines: dass die Menschen keinen Gott mehr brauchen, weil sie sich selbst an dessen Stelle gesetzt haben (das war ja auch tatsächlich ein klassisches Argument der Religionskritik: Auflösung von Theologie in Anthropologie).

Der Mensch ist nunmehr der Gott, der über die Welt herrscht: über die Natur, über die Tiere und auch über sich selbst, weil unter den Menschen recht ungezügelt das Gesetz des Stärkeren gilt. Wir haben es bei Gray mit einem Homo rapiens zu tun, der den Homo sapiens abgelöst hat - auch dies eine Figur der Erledigung von Aufklärung, an die Stelle des wissenden Menschen setzt sich die räuberische, gewalttätige Gattung, die für ihr Zerstörungswerk auch noch auf Wissenschaft und Technik zurückgreifen kann.

Welche Rolle spielen nun in dieser Perspektivik die alten Religionen? Sie haben nach Meinung von Gray der Moderne den Grundirrtum geliefert - die Annahme, dass die Geschichte einen Sinn haben könnte, dass es einen Fortschritt und am Ende sogar ein positives Ergebnis geben könnte. Dieser Glaube ist von den Erlösungsreligionen auf die "politischen Religionen" übergegangen und hat vor allem im 20. Jahrhundert zu Exzessen des Apokalyptischen geführt, weil Bewegungen wie der Kommunismus oder der Faschismus mit der Durchsetzung ihrer Vorstellungen so schnell und so radikal wie möglich ernst machen wollten. Gray hat diese Auffassung in dem Buch Politik der Apokalypse. Wie Religion die Welt in die Krise stürzt dargelegt, das 2009 in deutscher Übersetzung herauskam und auch schon breite Schneisen durch komplexe Diskussionen legte.

Seine negative Anthropologie in Von Menschen und anderen Tieren ist die Grundlegung seiner Kritik der Religion, wobei er in beiden Fällen unter Religion eben Phänomene versteht, die vielfach unter den Begriff der Säkularisierung fallen: Was wird aus der Religion, wenn sie weltlich wird, wenn Gott aus dem Zusammenhang hinausfällt? Sie bleibt dann immer noch Religion, weil die Verblendung bzw. das Illusionäre sich nur einen neuen Gegenstand sucht. Die menschliche Gattung vergottet sich selbst - das ist der Irrglaube des Humanismus.

Gray entwickelt seine Gedanken in diesem Fall nicht stringent und methodisch sauber, sondern er umkreist in Von Menschen und anderen Tieren seine zentrale Feststellung mit zahlreichen kleinen, manchmal fast aphoristischen Beobachtungen und Lektürefragmenten. Sein Buch wird dadurch auf eine verführerische Weise angenehm lesbar, und der Autor nimmt sich damit auch ein wenig aus der Kritik.

Denn er will es mit den Denkern, auf die er sich bezieht, gar nicht auf deren Reflexionsniveau aufnehmen (am deutlichsten wird das auf zwei sehr salopp hingeschriebenen Seiten zu dem Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls), sondern er will sie mit einer Breitseite pointierter Zuspitzungen in Bausch und Bogen abservieren.

Wie anders ließe sich sonst ein Satz wie der lesen, in dem Gray provokant das 20. Jahrhundert in einer zukünftigen Rückschau als "Zeit des Friedens" erscheinen lässt. Das bedeutet im Umkehrschluss ja nichts anderes als: Es wird alles noch viel schlimmer. Für diese Annahme gibt es zwar tatsächlich gute Gründe, aber bei Gray müssen es ein paar Anleihen bei Charles Darwin und dem Bevölkerungstheoretiker Malthus getan haben.

In seinem zentralen Argumentationspunkt liegt Gray ohnehin signifikant gegen den Trend: Er sieht den Menschen konsequent als Tierwesen, bleibt selbst aber in einem sehr eindimensionalen (man könnte fast sagen: primitiven) Begriff vom Tier befangen - er sieht tendenziell nur die Raubtiere und unterschlägt die Beispiele für gelingende Selbstorganisation etwa von Termiten, die er selbst bringt. Dass der Blick auf die Tiere gerade zu einer Schärfung der Ethik und des Selbstverständnisses führen kann, spielt für ihn keine Rolle, weil er Ethik und Reflexion für Oberflächenphänomene hält. Sein Denken ist selbst Beleg für die eigene These: dass die Hoffnung auf Fortschritt immer trügerisch ist. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. 7. 2010)