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Nichts mit Urlaubsromanze, salzigen Küssen, Wind auf der Haut und Haaren voll Sand. Die Finger von Shampoo-Seife-Schamhaarkringel-Schleim versaut, Schweiß auf der Stirn und ...

Foto: AP

Südliche Länder sind da äußerst schwierig. Das hat er einmal probiert.

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Kurt ist Hausmeister. Hausmeister in der Raststätte Raststadel. Der Raststadel befindet sich mitten in einer Ansichtskartenidylle: Wald grün, Berg weiß, See blau. Ein Tiroler Dorf in einem Seitental. Bestens verkehrserschlossen, gut angebunden ans Autobahnnetz: Straßen grau. Von Norden, Süden, Osten und Westen erreichbar, schnell durch- und umfahrbar. Der Dorfkern ein Dorfrest. Das Zentrum aller Interessen am Rande, außerhalb des Dorfes. Der Raststadel ist Schauplatz, Arbeitsplatz und Treffpunkt Nummer eins. Raststadel verpflichtet lautet der Slogan. Kurt identifiziert sich voll und ganz mit seinem Beruf, fühlt sich dem Raststadel Tag und Nacht verpflichtet. Aber auch ein Hausmeister braucht einmal Urlaub.

Auch ein Hausmeister muss mal raus und abschalten können. Wobei, Kurt kann ja nicht wegschauen. Er sieht sie halt einfach: die Arbeit. Südliche Länder sind also äußerst schwierig. Das hat er einmal probiert und bereut. Na ja, es war schon ganz lustig, wie ihm da im Stella Mare in Cinque Terre der Spülkasten des Gangklos entgegenkam und er dann aber schon all sein Geschick brauchte, um das mit dem Werkzeug, das ihm die überforderte Aushilfskraft an der Rezeption in die Hand drückte, wieder halbwegs in Schuss zu kriegen. Aber gekannt haben ihn dann alle, als er abends im Speisesaal aufmarschierte und sich die Pasta des Tages (Carbonara) auf den Teller schaufelte. Heike hat ihn sogar angesprochen.

Ob er vielleicht auf ihr Zimmer kommen könne, denn da habe es auch etwas mit dem Wasser, und zwar in der Wanne. Als Kurt dann nach der Nachspeise (Erdbeerparfait) inklusive Espresso (stark, heiß, kurz) mit Heike auf ihr Zimmer ging, spielten sich in seinem Kopfkino regelrechte Pornofilmszenarien ab: Es läutet. Die Hausherrin in knapper Schürze hoppelt zur Tür, macht auf und sagt erfreut: Oh, der Handwerker ist da und so ein fescher noch dazu. Na dann schauen wir doch mal, ob wir was zum Handanlegen haben. Folgen Sie mir doch ins Bad. Haben Sie alles mit, was Sie brauchen? - Zwinker. - Ah ja, ich seh' schon. Sie sind bestens bestückt. Fangen Sie ruhig schon an, darf ich Ihnen irgendwie entgegenkommen? Sie beugt sich über den Wannenrand, die kurze Bedienschürze bedeckt sie ohnehin nur vorne und reckt ihm ihre Rettungsbojen entgegen. Er packt aus, langt zu und ...

Und dann stellte Heike Kurt doch tatsächlich im Bad ab, ließ ihn den verstopften Duschkopf und auch gleich noch den Abfluss säubern, bedankte sich zwar artig, aber hieß ihn danach unverrichteter Zwischenmenschlichkeitsdinge wieder abdackeln. Nichts mit Urlaubsromanze, salzigen Küssen, Wind auf der Haut und Haaren voll Sand. Die Finger von Shampoo-Seife-Schamhaarkringel-Schleim versaut, Schweiß auf der Stirn und ...

Und morgen sehen wir uns dann beim Frühstück? Glaubte Heike zu wissen.

Ist gut, sagte Kurt dienstfertig und dachte sich: Da hab ich aber schon ganz andere Geschichten gehört von Baden-Württembergerinnen auf Italien-Urlaub.

An Geschichten mangelt es einem Hausmeister fürwahr nicht. Ein Hausmeister ist vielmehr ein Auffangbecken für jeglichen Tratsch und Klatsch. Kurt tratscht ja an und für sich gar nicht so gern, es ist nur auch so, dass manche Tage verdammt lang sind, und da schadet es keineswegs, sich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszutauschen. Tratsch klingt immer gleich so negativ. Aber in Wahrheit herrscht doch schlicht und ergreifend ein gutes Betriebsklima, wenn man sich ungezwungen allerlei Überflüssiges, wenig Weltbewegendes und auch mal was Persönliches erzählen kann.

Lieber tratschen als jammern

Lieber tratschen als jammern und lieber klatschen als gar keine Handarbeit, sagt sich Kurt immer. Und ja, durchaus lieber gelegentlich lästern und sich das Maul über jemanden zerreißen als sich nur anschweigen bzw. hinterrücks Verbalattacken reiten. Das mag Kurt gar nicht. Das gibt es aber in seinem Betrieb auch selten. Im Raststadel klappt die Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterkommunikation vorbildlich. Im Raststadel ist das Betriebsklima bestechend, also trotz alpiner Lage angenehm mediterran, wenn man so will. Leger, locker aber nicht ausgelassen, sondern trotz aller teaminternen Coolness pflichtbewusst. Eine Mischung aus Italien und Deutschland, könnte man sagen, und von beiden Seiten nur das Gute. Jetzt nicht auf die Nationalmannschaft bezogen, sondern auf die Eigenschaften, die man diesen Ländern gemeinhin zuschreibt. Nein, eine Mischung der Nationalmannschaften, das ginge wirklich nicht. Man stelle sich vor: Schweinsteiger, Lahm und Co träfen auf Materazzi, Cannavaro und Konsorten und müssten gemeinsam den Raststadel schupfen. Lahm an der Kassa, Materazzi im Service, Cannavaro am Zapfhahn und Schweinsteiger beim Schnitzelklopfen. Da könnte selbst Kurt als Hausmeister-Legionär das Ruder wohl schwerlich rumreißen. Der Raststadelkahn würde im Nu absaufen, und zu retten wäre wohl kaum was. Wasser nicht bloß bis zum Hals, sondern bis über den Scheitel. Unausweichlicher Untergang, kläglicher Niedergang, peinliche Niederlage ...

Niederlage, jawohl, Niederlage, sagte sich Kurt. 1:0 für Heike durch Duschkopfballtor in der Verlängerung und zusätzlicher Dämpfer durch einen fiesen Abflusskniestoß unter die Gürtellinie. Kurt moralisch, erotisch also praktisch vollkommen am Boden zerstört.

Schmerzverkrümmt schlich er sich auf sein Zimmer, spielte mit der Fernbedienung und seinem Pfosten und suchte Befriedigung.

Beim Frühstücksbuffet trafen sie sich dennoch. So groß war das Hotel nämlich nicht, und Heike ging erneut in die Offensive. Hast du schon was vor heute? Wollte sie wissen.

Nun war Kurt aber gewarnt vom Vorabend und traute ihr durchaus zu, dass sie weitere Aufgaben handwerklicher Natur für ihn hatte. Dabei dachte er nun allerdings nicht mehr an einen Porno, sondern an die Serie Selfmademan. Er sah sich schon ihre Badezimmertrennwand einreißen und an dem so gewonnenen Platz eine Infrarotschwitzzelle installieren: Zum Abdecken des Bodens verwenden wir eine Einwegabdeckplane, die es in jedem Baumarkt in unterschiedlichen Größen gibt. Je nach Beschaffenheit der Wand bedienen wir uns eines Vorschlaghammers oder auch schwereren technischen Geräts. Eine Hilti sollte aber mit jeder Altbaumauer fertig werden, der Maschinenverleih Ihres Vertrauens wird Sie auszustatten wissen. Ist der Anfang geschafft, ist der Rest ein wahres Vergnügen. Endlich einmal ungehemmt den Vorschlaghammer schwingen und es ordentlich rumsen lassen. Wer träumt davon nicht?

Kurt träumte davon nicht. Kurt träumt schon lange nicht mehr von Handarbeit, die hat er nämlich täglich zur Genüge. Es bimmelte erneut. Doch diesmal waren es die Alarmglocken, die Kurt hörte, er sah nichts Rosarotes und nichts Erotisches mehr in und um Heike und bejahte daher, ausreichend abweisend, wie er hoffte: Ja, er wolle das Umland erkunden, mit einer Vespa. Das müsse man mal getan haben, habe er gehört, hörte er sich sagen und dachte: Porca miseria! Warum lüge ich bloß und warum kehre ich da jetzt eine meiner großen Schwachstellen hervor. Ich kann gar nicht Moped fahren! Altes Trauma, das mit der Fußschaltung nie hingekriegt, lang nicht mehr daran gedacht. Was mach ich jetzt, wenn sie mitkommen will?

Was, wenn sie mitkommen will?

Sie wollte. Er fragte sie daraufhin, ob sonst alles in Ordnung wäre in ihrem Zimmer, ob er vielleicht noch was für sie richten könnte, und wollte eigentlich nur Zeit gewinnen. Sie fühlte sich umworben. In seiner Verzweiflung trank Kurt mehr Kaffee als gewohnt, und die Mischung aus Verzweiflung, Nervosität und italienischem Kaffee (stark, heiß, kurz) bescherte ihm dann einen nicht eingeplanten Boxenstopp am Gangklo. Immerhin: Die Spülung funktionierte jetzt. Auch wirkte die Verzögerungstaktik. Das heißt, als sie endlich beim Motorradverleih ankamen, gab es keine Vespas mehr, nur noch fade Strand-Dreiradler. Dass er als Mann der Maschine und deklarierter Technikaficionado damit nicht wollte, verstand sie.

So verbrachten Heike und Kurt den Tag gemeinsam am Strand. Sie spielte besser Beach-Pingpong als er, ging öfter ins Wasser und hatte offenbar die bessere Hautschutzcreme. Am frühen Abend lag Kurt mit Kopfschmerzen im Bett und verschlief das Abendessen (Cannelloni al forno, Pesce spada, Granita siciliana).

Am nächsten Morgen blähten sich Brandblasen auf Nase, Stirn und Schultern. Heike fand das lustig. Kurt verlor jegliche Urlaubsfreude und sah auch für das Unternehmen Urlaubsromanze-Heike schwarz (wie Pasta seppia), da er sich angesichts seines Ganzkörpersonnenbrands nicht vorstellen konnte, jemals Haut auf Haut, Körper auf Körper unter oder auf ihr zu liegen.

Den nächsten Tag verbrachte er mit Einverständnis der Hotelleitung damit, alle Zimmertüren zu ölen, den Heizkessel im Keller zu begutachten, und sich die laut surrende Air-Condition im Frühstücksraum etwas genauer anzuschauen. Der Hotelmanager war angetan von seinen Diensten zum Wohle der Allgemeinheit und bot ihm an, für Kost und Logis die ganze Saison im Stella Mare zu bleiben. "Quasi come uomo per tutto. Una ragazza si troverà" , meinte er augenzwinkernd. (Markus R. Köhle, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.07.2010)