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Patientenkontakt haben Turnusärzte selten: oft müssen sich die jungen Mediziner um Formulare ausfüllen und andere administrative Tätigkeiten kümmern.

Foto: ap/Kienzle

"Diktier das, füll dieses Formular aus, wechsle die Infusionsflasche", diese Aufforderungen hört Rainer Bellinghausen, Turnusarzt im Landeskrankenhaus in Salzburg, oft. "Wir sind die letzten in der Hierarchie. Über uns sind das Pflegepersonal, die Assistenzärzte, die Oberärzte und die Primare gestellt", erklärt der Mediziner im Gespräch mit derStandard.at. Administrative Tätigkeiten und Infusionsflaschen austauschen - das gehört zu den Aufgaben, die keiner von ihnen machen will. Also wälzen sie die langweilige Arbeit auf die Turnusärzte ab. 

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) will den dreijährigen Turnus abschaffen. Sie hat stattdessen ein "Klinisches Praktisches Jahr" während des Studiums vorgeschlagen. Nach Abschluss des Studiums sollen die Humanmediziner eine Teilapprobation bekommen, mit der sie sofort als Arzt tätig werden können. Die Ärztekammer, die ebenfalls Änderungen beim Turnus fordert, ist gegen den Vorschlag Karls. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, fordert stattdessen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen während der Turnusphase.

Ärztekammer will Administrations-Assistenten

Auch Turnusarzt Bellinghausen sieht den Vorschlag von Karl kritisch. "Man kann den Stationsbetrieb ohne Turnusärzte und ohne Assistenzärzte nicht aufrecht erhalten", glaubt er. Er fragt sich, wer dann die Arbeit, die jetzt von den jungen Ärzten gemacht wird, übernehmen soll. Lösungsvorschlag der Ärztekammer: Administrative Tätigkeiten sollen von Administrations- und Dokumentations-Assistenten übernommen werden. Das würde laut Mayer gleich zwei Vorteile bringen: Erstens könnten sich die Turnusärzte auf medizinische Aufgaben konzentrieren und zweitens hätten die Ärzte mehr Zeit um auch tatsächlich auszubilden.

Bellinghausen (36) ist seit 2007 mit seinem Medizin-Studium in Innsbruck fertig. Er will Kinderarzt werden, macht zusätzlich aber auch die Ausbildung zum Allgemeinmediziner. Der junge Arzt musste während seiner Zeit auf der Onkologie-Station des Landeskrankenhaus Salzburg zwei Mal im Monat mit dem Zug von Salzburg nach Wien fahren und Knochenmark abholen. Das Pflegepersonal weigert sich, diese Aufgaben zu übernehmen. „Für meine Ausbildung ist das völlig sinnlos. Das kann jeder machen, auch ein Taxifahrer", ärgert er sich. Er würde sich wünschen, dass die Fachärzte die Ausbildung ernster nehmen.

38 Prozent sind "überhaupt nicht" zufrieden

Viele andere Turnusärzte in Österreich sind mit ihrer Ausbildung ebenfalls nicht zufrieden. Laut einer Umfrage der Ärztekammer sind rund 38 Prozent der angehenden Allgemeinmediziner mit der Ausbildungssituation überhaupt nicht zufrieden. Als Belastung werden vor allem die administrativen Arbeiten angesehen, für die derzeit fast die Hälfte der Arbeitszeit verwendet wird. Auch die langen Arbeitszeiten belasten die jungen Mediziner. Rund ein Drittel der Befragten arbeitet bis zu 76 Stunden wöchentlich, dieser Schnitt liegt deutlich über der gesetzlichen Höchstgrenze von 60 Wochenstunden.

"U-Boote" sitzen Zeit ab

Die Qualität der Ausbildung als Turnusarzt liegt für Bellinghausen aber auch an der eigenen Einstellung. Von den rund 130 Turnusärzten, die in Salzburg arbeiten, hätten nur 50 bis 60 einen "guten Ruf", viele andere seien desinteressiert und würden als "U-Boote" die Zeit einfach nur absitzen. Dies könnte auch daran liegen, dass die jungen Mediziner sehr schlecht bezahlt werden. Bellinghausen ist mit einem Grundgehalt von rund 1300 Euro eingestiegen und muss viele Nachtschichten und Sonderdienste schieben, um genug Geld für seine Familie zu verdienen.

Wenig praktische Erfahrung nach dem Studium

Karl will den Turnus deshalb abschaffen, weil in anderen europäischen Staaten Ärzte schon wesentlich früher eine Lizenz zum Arbeiten bekommen. Medizin-Absolventen werden dadurch gezielt von Krankenhäusern in Deutschland abgeworben, um dort ihre Ausbildung abzuschließen, so Karl. Bellinghausen glaubt aber nicht, dass ein Jahr Praxis während des Studiums reichen wird. Er sei sich nach dem Studium eher wie ein Theoretiker als ein Praktiker vorgekommen. "Man lernt zwar, wie man sich durch die Tse-Tse-Fliege ansteckt, ist aber überfordert, wenn ein Kind mit Kehlkopfentzündung behandelt werden muss", so der Mediziner. Er würde eine "effizientere" Ausbildung begrüßen, verkürzen würde er den Turnus aber nicht. (Lisa Aigner und Julia Hold, derStandard.at, 15.07.2010)