Foto: Camera Austria

Christine Frisinghelli, langjährige Leiterin der "Camera Austria" , verabschiedet sich mit einer spannenden Schau.

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Graz - Iosif Király hat keine besondere Präferenz für Tageszeiten oder Jahreszeiten, wenn es darum geht, jene Orte, die er wieder und wieder fotografiert, aufzusuchen. "Ich komme einfach, wenn es sich ausgeht" , erzählt der Künstler, Architekt und Fotograf aus Rumänien, dessen Ausstellung Reconstructions seit dem Wochenende in der Camera Austria läuft. Seit 2000 sucht er immer wieder Orte auf, um ihre verschiedenen flüchtigen Zustände festzuhalten.

Nur wenn man näher auf die Fotos zugeht, erkennt man die raffinierten Kompositionen Királys. So glaubt man etwa zuerst, einfach vor einem Straßenzug zu stehen, doch eigentlich sieht man die Gebäude gleichzeitig von mehreren Seiten. Es sind Fragmente desselben Ortes, die der Fotograf später mit Schere und Klebeband wieder zusammensetzt, bis sie mit ihren feinen glatten Bruchlinien wie kubistische Gemälde aussehen.

Manchmal vergehen zwischen zwei Aufnahmen nur Minuten, sodass etwa ein Hund aus dem Bild spaziert, manchmal vergehen auch Monate, in denen sich nicht nur das Licht, sondern bei intensiver Betrachtung auch Gebäude ein wenig verändert haben. Oder eine riesige am Boden liegende Lenin-Statue hat sich mit dem Gesicht ins Gras gedreht.

Das faszinierende an diesen Arbeiten ist die ästhetische, fast poetische Form, die Király wählt, um die Geschichte von Veränderungen zu erzählen, die man als Protagonist, der mitten in der Szene steht, so gar nicht wahrnehmen könnte. Schon seit dem Ende des Kommunismus arbeitet er zusammen mit anderen Künstlern seiner Heimat an der Verwertung fotografischen Materials, um Geschichte ohne Worte zu notieren.

Zeit-Akrobaten im Blick

Auch der Österreicher Christian Wachter erzählt wie ein Dokumentarist über sehr lange Zeiträume, aber auch Entfernungen Geschichten. Seine Impressions D'AFRIQUE werden nun - gemeinsam mit Királys Fotos - erstmals ausgestellt, bisher lag der zwischen 1998 und 2006 in Wien, Paris, Burkina Faso, Yamoussoukro und Basel aufgenommene Zyklus nur als Buch vor. Der Titel der in mehrere Kapitel unterteilten Geschichte, die sich lose durch die Bilder zieht, ist einem Werk des französischen Schriftstellers Raymond Roussel aus dem Jahr 1910 entliehen. Darin müssen gestrandete Europäer einem afrikanischen König als Gefangene Kunststücke darbieten. Die Unterdrücker sind Untertanen: Diese Blickumkehr thematisiert Wachter, indem er auch traditionelle Kamera-Blickwinkel und ihre Realitätsverzerrung hinterfragt. Dies geschieht etwa in Reproduktionen von Fotos einer Akrobaten-Truppe, die mit Fahrrädern und Motorrädern Kunststücke im Burkina Faso der 1980er-Jahre aufführte. Ein anderer Erzählstrang kreist ums Frisieren und Posieren.

Mit dieser Schau verabschiedet sich die langjährige Leiterin der Camera Austria, Christine Frisinghelli, als Kuratorin. Ab 2011 übernehmen ihre Mitarbeiter Reinhard Braun und Maren Lübbke-Tidow die gesamte Verantwortung für den Ausstellungsbetrieb im Eisernen Haus sowie für die Zeitschrift Camera Austria. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe, 13.07.2010)