Schon 2008 hat Wolfgang Lorenz, hier im derStandard.at-Chat, mit seinem "Scheiß-Internet"-Sager sich manche Rüge zugezogen - und seiner Diktion darob offenbar einen Feinschliff verpasst.

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Und was die Jugend sonst noch tut oder nicht tut, warum die Demokratie Alphatiere braucht und wie das überhaupt so ist mit der heutigen Gesellschaft und der Politik: Wolfgang Lorenz im O-Ton. - Eine Entladung.

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"Ja, ich soll auch Grußworte sprechen, ich weiß aber nicht genau, von wem ich Sie grüßen lassen soll, ich kann Sie ja nicht grüßen, weil ich bin ja da, also das wär ja sinnlos; ich kann mich nur von Ihnen verabschieden, was ich übrigens demnächst auch wieder tun werde. Also nehme ich an, ich bin eingeladen, Sie von der Anstalt zu grüßen, der Rundfunkanstalt selbstverständlich, die irgendwann auch einmal Rundfunkgesellschaft geheißen hat das ist irgendwie aus der Mode gekommen, weil da drin kommt Gesellschaft vor und Gesellschaft gibt's ja bekanntlich nicht mehr, die ist ja abgeschafft worden, seitdem sich nur jeder um sich selbst kümmert, und wir können heute bestenfalls von einer Überlebensgesellschaft reden, aber nicht mehr von einer Lebensgemeinschaft. Das ist bedauerlich, aber einfach festzustellen.

Wir sind mit Politik konfrontiert, die sich Gesellschaft als die Summe der größtmöglichen Wählerschaft vorstellt, und ich bekenne auch, dass die Rundfunkgesellschaft eine gewisse Sehnsucht hat nach einer Masse an Gebührenzahlern und Werbeeinnahmen, das heißt beides sind eigentlich keine wirklich guten gesellschaftlichen Vorstellungen. Warum ist das so? Uns fehlt ein wichtiger Teil von Gesellschaft, nämlich die p. t. Jugend, die auch hier immer so angefleht wird, sie möge doch endlich Lesen lernen, durch Zuschauen zumindest oder irgendwie; die fällt nämlich total aus, weil sie offensichtlich einerseits die Schnauze voll hat - das haben die Jungen eh immer gehabt, ich glaube ich nicht, aber insgesamt, und ich kann mich gar nicht mehr erinnern, weil ich schon so alt bin - und zweitens, weil die Jungen beschlossen haben, an uns (gemeint wahrscheinlich: am ORF oder dem Fernsehen allgemein) gar nicht mehr teilzunehmen, sondern lieber täglich ins Internet zu kotzen, und das noch anonym, weil da kann relativ wenig passieren und man fühlt sich aber richtig gut, weil man's dem Internet gesagt hat, und insofern hat irgendjemand offensichtlich das mit der Second World (gemeint wahrscheinlich: Second Life) zu ernst genommen, in dieser ist nämlich die Jugend wie bei H. G. Wells (gemeint wahrscheinlich: Brave New World von Aldous Huxley) in einer Untergesellschaft untergetaucht und lässt auch gar nicht mehr grüßen, weil sie dazu auch zu schlecht aufgelegt ist.

Das heißt, es hetzt uns auch niemand mehr, wer beißt schon heute wen in die Wade - ich mein: welcher Jugendliche, sonst ist Wadlbeißen natürlich immer noch angesagt - und wer macht uns klar, dass wir uns eigentlich in einem Zustand der Auflösung befinden, und ob die Kunst hilft oder nicht, das weiß ich nicht, ich glaube dran, aber ich glaub immer weniger dran, weil, auch wenn ich mir vorstelle, der Peter Turrini zum Beispiel hat in einer Kultursendung am Montag, selbstverständlich im ORF, gesagt: "Sprache ist stärker als Realität" - möglicherweise gibt's uns gar nicht mehr, es hat uns nur keiner gesagt, wär ja auch ein möglicher Schluss, und insofern bitte ich die Tage (der deutschsprachigen Literatur) möglichst lebendig zu gestalten und als Lebenszeichen, es gibt uns noch, auszusetzen.

Ich hätte auch einen Wunsch an die handelnden Personen, die Schriftsteller, die Juroren, alle miteinander: Fühlen Sie sich doch einmal richtig gut elitär, fühlen Sie sich doch richtig mal super als Rudelführer, man wird Sie brauchen, wenn Europa, wenn es so weitermacht, wieder in wilde Rudel zerfällt, dann werden die Alphatiere fehlen, und dann könnten die Künstler helfen, die Politiker mit Sicherheit nicht mehr, die haben schon bisher alles verschissen. Also insofern würde ich auch sagen, die 68er waren wirklich leiwand, das war wunderbar, das war auch meine Generation, da war auch noch was los, es gibt Nachhaltigkeit, in mehrerer Hinsicht, aber etwas haben uns die 68er natürlich jetzt in der nächsten Generation beschert: Sie haben die Eliten mit abgeschafft, weil sie dem Irrtum unterlegen sind, dass Elite und Demokratie unverträglich seien. Jetzt haben wird den Salat und sehen was dabei herausgekommen ist, nämlich gar nix, die des g'sagt ham, san weg, und in der zweiten Welt untergetaucht, die Eliten sind weg, es herrscht ein ausgesprochen elitefeindliches Klima, in Österreich aber möglicherweise auch in Europa, und der Irrtum, dass Eliten und Demokratie unverschraubbar seien, ist ein fataler Zustand, den wir täglich erleben. Jede funktionierende Demokratie ist von Eliten angeführt worden, sonst müsste es ja auch keine Wahlen mehr geben und mir geht das Ganze schön langsam ziemlich auf die Nerven.

Zum Schluss erzähle ich Ihnen noch eine kleine Geschichte: Karl Löbl, der Kulturchef des ORF, ist 80 geworden. Ich habe ihm dazu einen Brief geschrieben, wie sich das gehört, und eines Abends gehe ich auf der Straße und in eher ungewohnter Herzlichkeit stürzt Karl Löbl noch im rüstigen Schritt auf mich zu und umarmt mich herzlich und so weiter und bedankt sich ganz wahnsinnig dafür. Daraufhin sag ich, was hat er denn, so toll war der Brief wieder a net, ehrlich g'sagt. Und dann sagt er: "Wissen Sie, was passiert is? Ich habe 102 Mails bekommen, ich habe 80 SMS bekommen und einen Brief - und der is von Ihnen." So viel zum Thema Sprache, Literatur und bemühen wir uns halt, das Schreiben und das Lesen nicht zu verlernen, es könnte uns möglicherweise für die Zukunft helfen. Danke schön." (DER STANDARD; Printausgabe, 10./11.7.2010)