"Museum" (Ville Lenkkeri, 2007) in Pyramiden: ein Ort, dessen Existenz man sich nur außerhalb unserer Zeit vorstellen kann

Foto: Lenkkeri

Eine Spurensuche, die der Idee eines Ideals folgt.

Wien - "Auf der Suche nach etwas Nichtexistentem ist das, was zählt, die Suche selbst - und das Träumen." Ville Lenkkeri besuchte zwei Orte mit Vergangenheit, aber ohne Zukunft: Der finnische Künstler reiste mühevoll mit dem Schiff zu den entlegenen Bergarbeitersiedlungen Pyramiden und Barentsburg auf Spitzbergen, weit oben im Polarmeer. Denn die zu Norwegen gehörende Inselgruppe nördlich des Polarkreises verfügt über reiche Kohlevorkommen, die seit den 1920er-Jahren von einem sowjetischen Unternehmen abgebaut wurden. 1998 wurde der unrentable Kohleabbau in Pyramiden eingestellt. Die Bewohner wanderten ab. Zeit und Frost hinterließen Spuren an dem, was sie zurückgelassen hatten. Fast alles. Privatbesitz hatten sie kaum.

Denn zu Sowjetzeiten und auch noch in der russischen Ära waren die Arbeiter jeweils für zwei Jahre dort angesiedelt. In der Stadt wurde kein Geld verwendet, da ihre rund 1100 Bewohner mit allem Notwendigen versorgt wurden. Den Lohn bekamen sie erst nach Ablauf der zwei Jahren ausgezahlt. Alle waren somit finanziell gleichgestellt.

Barentsburg hingegen existiert noch heute. Statt Bergbau dominiert mehr und mehr der Tourismus. Im Frühling und Herbst fluten Schneemobile den Ort. Für Lenkkeri ein trauriges Monument sich verändernder Zeiten, ganz anders als das verlassene Pyramiden, das starb, bevor es sich dem Lauf der Zeit anpassen musste.

Diese vollkommen andere Art der Gesellschaft, wo Quantität zugunsten von Qualität und Wettbewerbshierarchien zugunsten von Gleichheit aufgehoben wurde, ist es, die Lenkkeri magisch anzog: "Ich bin zu spät, um zu bezeugen, ob dieses andere Art des Seins wirklich existierte - auch jenseits der Zwänge des Ortes."

So gesehen ist Lenkkeris Fotoserie The Place of no Roads eine Spurensuche, die der Idee eines Ideals folgt und sich einem Traum verschrieben hat. "Ich versuche etwas zu sehen, was nicht mehr da ist und vielleicht auch nie da war."

Lenkkeris fotografischer Zugang ist daher auch alles andere als dokumentarisch, vielmehr konzeptuell. Der 1972 geborene Absolvent der Helsinki School (Momentum zeigte 2009 mit Miklos Gaál bereits einen Abgänger dieser Furore machenden Fotoschule) idealisiert und dramatisiert die gefundenen Spuren. In einem leerstehenden Büro arrangierte er sogar eine Lenin-Gesamtausgabe: "Ich glaube, dass diese Bücher irgendwann sowieso einmal dort waren oder dass sie zumindest einmal dort gewesen sein müssten." - Wundervolle Fotos. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2010)