Statt nur Informationen auszusenden, gehe es bei Social Media vor allem darum, die Konversationen, die Menschen untereinander über eine Marke oder ein Unternehmen führen, zu beobachten und zu pflegen, sagt Clara Shih.

Foto: Clara Shih

"Wir leben in der Facebook-Ära", sagt Clara Shih und will nicht nur der Gegenwart diese Bezeichnung geben, sondern hat auch ihr Buch so benannt, das sich mit der kommerziellen Nutzung von sozialen Netzwerken beschäftigt. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt sie, welche Auswirkungen die "Facebook-Ära" auf Unternehmen allgemein und speziell für die Kommunikationsbranche hat, wo die Gefahren lauern und was das Schlimmste ist, was ein Unternehmen mit der Nutzung von Social Media machen kann. Am 15. Juli kommt die Unternehmerin und Autorin erstmals nach Wien, um beim Werbeplanung.at-Summit die Hauptrede zu halten. Vorab beantwortete Sie im derStandard.at-Interview die Fragen von Michael Kremmel.

derStandard.at: Ihr Buch heißt "The Facebook Era". Was sind die fundamentalen Unterschiede, die Facebook mit sich bringt, sodass man danach eine ganze Ära benennen müsste?

Clara Shih: Mit Blick auf die Vergangenheit und die Technologiegeschichte, zeigt sich, dass alle zehn bis fünfzehn Jahre eine Technologie auftaucht, die so überzeugend ist, dass sie unser Kommunikationsverhalten ändert. Das wirkt sich natürlich auch auf die Unternehmen aus. In den Achtzigern war es der PC, in den Neunzigern das World Wide Web der Informationen und heute ist es die Facebook-Ära, die weltweite Vernetzung von Menschen untereinander. Die großen Unterschiede sind nun im Vergleich zum WWW der Informationen, dass dort Websites und Inhalte verlinkt wurden und heute über die Information hinaus auch Menschen miteinander vernetzt werden. Die sozialen Netzwerke erzeugen einen "Social Graph", der alle Personen und Verbindungen erfasst, die sich im Internet bewegen und stellt die Verknüpfungen zu Individuen, Marken, Organisationen und Unternehmen her, die am wichtigsten für die jeweilige Person sind.

derStandard.at: Wie wirkt sich diese "Facebook-Ära" auf die Kommunikationsbranche aus?

Clara Shih: Das Ziel von Werbe- und PR-Aktivitäten hat sich wegbewegt von reinem Aussenden von Informationen an Kunden, was sie über das Produkt oder Dienstleistung wissen sollen. Es geht mehr darum, die Konversationen, die Menschen untereinander über eine Marke oder ein Unternehmen führen, zu beobachten und zu pflegen.

derStandard.at: Sie führen in Ihrem Buch aus, dass es vor allem die losen Beziehungen von Menschen untereinander sind, die das größte soziale Kapital beinhalten. Allein die Bedeutungsverschiebung des Wortes Freund auf Facebook zeigt das sehr gut. Wie können Unternehmen von diesen losen Beziehungen profitieren?

Clara Shih: Die Kommunikationstechnologien haben es im Laufe der Zeit ermöglicht, viel mehr potentielle Kunden zu erreichen, angefangen vom Telefonmarketing bis hin zum E-Mail-Marketing. Auch Social Media macht es einfach und billiger, mehr Kunden zu erreichen und erlaubt es zudem, sowohl bestehende als auch potentielle Kunden viel früher im Kaufprozess anzusprechen. Und Social Media macht es für Menschen sehr einfach, durch Profile und Share-Funktionen Empfehlungen an ihr Umfeld weiterzugeben, woraus sich positive Netzwerkeffekte ergeben.

derStandard.at: Erst kürzlich hat sich der Chef eines großen Internet-Vermarkters in Deutschland darüber ausgelassen, dass man in Facebook keine Marken führen könne. Sehen Sie das auch?

Clara Shih: Man kann eine Marke natürlich nicht mehr so führen, wie man das gewohnt war. Auch im Internet hat man nur den Bruchteil einer Sekunde Zeit, um die Menschen für sich zu gewinnen. Und was dazu kommt ist, dass die Menschen selbst ihre Gedanken und Meinung zu Marken abgeben und somit zur Markenbildung und zum Image einer Marke beitragen. Unternehmen müssen darauf schauen, ihren Kundenservice überall dorthin zu bringen, wo die Kunden sind. Es geht nicht nur um das Verkaufen von Produkten, es geht um die Beziehung zu den Kunden nach dem Verkauf eines Produktes. Der Verkauf ist erst der Anfang. Wie gut das Produkt ist und wie gut der Kundenservice ist, davon hängt vieles ab, da sich die Kunden darüber austauschen werden.

derStandard.at: Funktionieren traditionelle Werbekampagnen auch in sozialen Netzwerken?

Clara Shih: Zweifellos gibt es auch traditionelle Kampagnen in Facebook und Co, aber dahinter muss auch eine angepasste Strategie stehen. So braucht es neben Anzeigen eine Facebook-Seite, die der zentrale Anlaufpunkt für User ist, die alle Informationen rund um das Produkt, die Marke oder das Unternehmen liefert.

derStandard.at: Was müssen Unternehmen beachten, wenn Sie sich überlegen, Social Media zu nutzen?

Clara Shih: Es gibt drei wichtige Grundsätze. Erstens, egal ob man im Marketing, im Verkauf oder in der Produktentwicklung ist, man muss wissen, wo sich die Kunden befinden. Und wenn es 470 Millionen aktive Nutzer auf Facebook gibt, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich Kunden und potentielle Kunden auch dort bewegen. Zweitens: Menschen geben so viele Informationen über sich preis wie noch nie. Und Unternehmen können und sollen diese Informationen nutzen, und sich direkt und individuell an den Kunden wenden. Drittens: Die Personen auf Facebook und Twitter tauschen sich untereinander auch über Unternehmen aus und wenn man zufriedene Kunden hat, dann kann das positive Netzwerkeffekte nach sich ziehen.

derStandard.at: Die Vorteile klingen schön und gut. Gibt es auch Gründe, warum man Social Media nicht nutzen sollte?

Clara Shih: Wie bei allen anderen Kommunikationsmitteln stellt sich auch hier die Frage, ob man die Zielgruppe damit erreichen kann. Ältere Menschen mit Facebook erreichen zu wollen, ist beispielsweise eine Verschwendung von Zeit und Geld. Die zweite wichtige Überlegung ist, ob das Produkt oder die Dienstleistung etwas ist, von dem man will, dass darüber gesprochen wird. Beispielsweise eignet es sich überhaupt nicht im medizinischen Bereich, bei Krankheiten von denen man nicht will, dass andere Menschen darüber Bescheid wissen.

derStandard.at: Viele Unternehmen fürchten um den Verlust der Kontrolle der Unternehmenskommunikation. Was können die Unternehmen tun?

Clara Shih: Der erste Schritt sollte sein, sich über Websites wie "Open Facebook Search" und "Your Openbook" einen Blick darüber zu verschaffen, ob die Kunden schon über einen sprechen. Die Chancen stehen gut, dass sie sich über das Produkt, die Dienstleistung, die Branche oder auch die Konkurrenz unterhalten. Diese Gespräche zu beobachten, ist ein wichtiger Schritt, bevor man selbst aktiv wird. Der nächste ist, sich Vorbilder zu suchen, zu schauen welche vergleichbaren Unternehmen in Österreich, Deutschland oder auch international ihre Sache gut machen.

derStandard.at: Bei einer Versammlung der österreichischen PR-Branche vor einem Monat konnte die Frage nach vorbildhaften österreichischen Unternehmen in der Social-Media-Kommunikation nicht beantwortet werden. Es sieht also schlecht aus, dass Unternehmen im Inland Vorbilder finden können. Bei welchen Unternehmen könnten sie sich was abschauen?

Clara Shih: Es stimmt schon, es ist nicht leicht ein gutes Beispiel zu finden, das für die gesamte Kommunikation eines Unternehmens als Vorbild gelten kann. Manche Unternehmen tun sich leichter einen Lead zu generieren, während andere guten Kundenservice leisten. Eine sehr bekannte Marke, die ihre Sache gut macht ist Dunkin Donuts. Wenn man sich kleine Unternehmen anschaut, dann ist vielleicht "Eyebrows to die for" aus San Francisco ein gutes Beispiel. Die Frau hinter dem Unternehmen nutzt statt früher ihrer Website heute hauptsächlich Facebook, um Aktionen zu bewerben und zielgerichtet Werbung zu machen oder die Kunden über neue Dienstleistungen zu informieren.

derStandard.at: Wer in einem Unternehmen soll sich der Kommunikation mit sozialen Medien widmen, nur die Kommunikationsabteilungen oder auch andere Mitarbeiter?

Clara Shih: Als Finanzdienstleister will man sicher nicht, dass sich alle Mitarbeiter in sozialen Medien engagieren und da womöglich sensible oder geheime Informationen preisgeben. Bei allen anderen Unternehmen gilt es zu beachten, dass vor allem die jüngeren Mitarbeiter sich ohnehin schon in sozialen Netzwerken bewegen. Das heißt, man muss Mitarbeiter schulen, damit sie sehen was erlaubt ist und was nicht und so keine Richtlinien verletzen, die wichtig für das Unternehmen sind.

derStandard.at: Was ist das Schlimmste was Unternehmen in Social Media machen können?

Clara Shih: Da gibt es sehr viele Sachen. Das Schlimmste ist, vertuschen zu wollen, was wirklich los ist. Denn soziale Medien funktionieren von unten nach oben, ermöglichen Graswurzelbewegungen und liefern so eine große Transparenz über die Macht eines Unternehmens. Wenn also ein Unternehmen versucht, etwas zu verstecken oder einen Fehler gemacht hat und ihn nicht eingestehen will, dann wird dieser sehr schnell durch soziale Medien enttarnt. Das kann durch die Netzwerkeffekte eine Gefahr darstellen. Aber wenn man einen Fehler macht, sich entschuldigt und ernsthafte Bemühungen zeigt, den Fehler aus der Welt zu schaffen, dann sind die Menschen sehr nachsichtig.

derStandard.at: Wenn etwas falsch läuft, können die Netzwerkeffekte Unternehmen innerhalb kürzester Zeit vor ungemeine kommunikative Herausforderungen stellen. Ist aber die Angst vor solchen negativen Effekten überschätzt?

Clara Shih: Es handelt sich dabei durchaus um sehr reale Gefahren. Das ist aber nur ein Grund mehr, sich permanent anzuschauen, was über das Unternehmen oder ein Produkt gesagt wird. Darum sollten intelligente Firmen, auch wenn sie nicht viel in die aktive Kommunikation investieren, zumindest Social-Media-Monitoring betreiben, sodass sie darüber informiert werden, wenn über ihr Produkt gesprochen wird.

derStandard.at: In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es in sozialen Netzwerken schwerer ist, Nein zu sagen und es somit leichter wird, dass einem ein Wunsch oder ein Bitte erfüllt wird. Wie stark erhöht das den Druck auf Unternehmen?

Clara Shih: Es gibt einen Druck, aber man muss das nicht als Nachteil sehen. Was Social Media erlaubt, ist eine Marke menschlicher zu machen. Wenn ein Unternehmen sich mit einer realen oder fiktiven Person in soziale Medien begibt und diese Person in ihrer Rolle die Qualitäten und Werte eines Unternehmens oder einer Marke repräsentiert, dann kann man viel Loyalität ernten. Auch Unternehmen können nicht immer nur freundlich sein.