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"Ich lasse mir von keinem Lobbyisten die Hand führen. Ich höre ihnen zu, aber ich lasse mir von ihnen keine Zeit stehlen."

OTHMAR KARAS (52) sitzt seit 1999 für die ÖVP im Europäischen Parlament. Dort ist er Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und im Sonderausschuss zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise. Vor seiner Aufgabe im EU-Parlament war Karas ÖVP-Nationalratsabgeordneter.

Foto: APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER

Othmar Karas hat den Aufruf einiger EU-Parlamentarier gegen den Einfluss der Lobbyisten der Finanzbranche nicht unterschrieben. "Ich halte den Brief für ein Armutszeugnis, für ein Zeichen der Schwäche der Politik", sagte Karas im Gespräch mit derStandard.at. Es liege immer noch an den Parlamentariern, wie sie im Parlament abstimmen, argumentiert der ÖVP-EU-Abgeordnete. Und diese Entscheidung würden sie allen treffen. Sie sollten ihre Verantwortung als Vertreter ihrer Wähler wahrnehmen und sich nicht über Lobbyisten beschweren.

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derStandard.at: Sie sagten, Sie wollen sich nicht hinter Lobbyisten verstecken, denn am Ende entscheiden immer noch die Parlamentarier. Gibt es für Sie das Problem Lobbying nicht?

Karas: Lobbying gehört geregelt, um Transparenz zu erzeugen. Was im Europäischen Parlament der Fall ist.

derStandard.at: Dort ist die Registrierung allerdings freiwillig.

Karas: Jeder der registriert ist, bekommt ein Namensschild, mit dem er das Parlament betreten darf. Die anderen dürfen nur hinein, wenn es ein Abgeordneter erlaubt. Den Aufruf hab ich nicht unterschrieben, weil ich auch ein Lobbyist bin.

derStandard.at: Inwiefern sind Sie Lobbyist?

Karas: Insofern als dass ich für das, was ich für richtig halte, lobbyiere. Dafür versuche ich Mehrheiten zu finden und Akteure zu beeinflussen. Die stärksten Lobbyisten sind die Mitgliedsstaaten, die einzelnen Nationen, weil sie auch im Rat Gesetzgeber sind. Bei der Frage des Lobbyismus geht es vielmehr um das Selbstverständnis der Parlamentarier. Was mir im Moment auffällt ist, dass immer weniger Politiker Verantwortung für ihr Tun übernehmen und immer öfter die Schuld bei anderen suchen. Und sich so aus der Verantwortung stehlen.

Das haben wir beim G-20 Gipfel erlebt: Wenn man sich nicht einigt, verschiebt man den Zeitpunkt der Lösung und man erklärt, dass jeder tun und lassen kann was er will. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir wieder zu dem stehen, was wir tun.

derStandard.at: Dem würden sicher die meisten Parlamentarier zustimmen. Diejenigen, die diesen Aufruf unterschrieben haben, sagen, dass die Lobbyisten aus der Finanzbranche derzeit besonders aktiv sind, wenn es um Entscheidungen zur Regelung des Finanzmarktes geht. Die Parlamentarier wünschen sich in diesem Bereich mehr Expertise von zum Beispiel NGOs.

Karas: Derzeit steht der Finanzmarkt auf der Agenda der EU. Wir regeln den Finanzmarkt. Wir beaufsichtigen die Banken. Wir registrieren die Produkte. Es ist logisch, dass bei den Themen, die wir derzeit haben, die Finanzwirtschaft der Hauptbetroffenen dieses notwendigen Reformprozesses sind.

derStandard.at: Sie sind Akteure. Betroffen sind wir alle.

Karas: Und was ist ein Politiker? Ein Abgeordneter ist ja eigentlich der Sprecher der Zivilgesellschaft. Es liegt an mir, mit wem ich mich treffe. Es liegt an mir, welche zusätzlichen Initiativen ich setze. Ich fühle mich von niemandem erdrückt. Ich lasse mir von keinem Lobbyisten die Hand führen. Ich höre ihnen zu, aber ich lasse mir von ihnen keine Zeit stehlen. Jemand der zu mir kommen will, um einen Kaffee zu trinken, der nicht weiß was er will und keinen Beitrag leistet, der wird kein zweites Mal einen Termin bekommen. Aber ich bin jedem gegenüber offen. Weil ich entscheide.

Ich halte den Brief für ein Armutszeugnis, für ein Zeichen der Schwäche der Politik. Wenn es Probleme zu lösen gibt, dann sind diese Probleme zu lösen, aber keine Briefe zu schreiben. Das ist eine Scheinaktivität. Wir haben als Politiker die Macht, die Dinge zu ändern. Wie zum Beispiel in den Expertengruppen der Kommission. Eine davon ist die GEBI (Group of Experts in Banking Issues). (Diese Gruppe soll die Kommission bei der Bankenregulierung beraten. Von 40 Mitgliedern sind nur drei unabhängige Experten. Anm.) Jeder konnte sich für diese Gruppe bewerben. Es hat sich nur ein Parlamentarier beworben. (Karas selbst hat sich beworben und wurde auch als Beobachter aufgenommen. Anm.)

derStandard.at: In dieser Expertengruppe sind Sie Beobachter, kein Mitglied. Sind nur die Beobachterposten ausgeschrieben worden, oder alle anderen auch?

Karas: Alle konnten sich bewerben. Das wurde öffentlich ausgeschrieben. Jeder konnte sich bewerben. Aber warum habe ich mich beworben? Ich bin zwar Gesetzgeber, der Letztentscheid liegt bei mir, aber als einer der im EU-Parlament Verantwortlichen bei der Eigenkapitalregelung, bei Eurostat will ich wissen, was die dort machen. Ich will das kontrollieren und mich einbringen. Ich will wissen, in welchem Prozess das abläuft. Die Letztentscheidung habe zwar ich, aber ich finde, dass es wichtig ist, diesen Prozess zu beobachten und zu begleiten.

derStandard.at: Und wer entscheidet, wer als Mitglied oder Beobachter zugelassen wird?

Karas: Die Kommission entscheidet. Das ist auch logisch. Ich entscheide ja auch wer mich berät.

derStandard.at: Dieses Gremium, in dem überwiegend Vertreter der Banken sitzen, soll die Kommission bei der Regulierung der Banken beraten. Das Interesse der Banken an einer Regulierung dürfte enden wollend sein.

Karas: Das wird immer angenommen, aber sie entscheiden dort ja überhaupt nichts. Sie geben ihre Meinung zu dem, was zu geschehen hat.

derStandard.at: Aber ist das nicht auch eine mächtige Position, wenn man Einfluss darauf hat, wie eventuelle Regulierungsvorschläge aussehen?

Karas: Gesetzgeber ist das Europäische Parlament. Das Parlament könnte selber eine Expertengruppe zusammenstellen. Ich halte es daher nicht für gerechtfertigt, Betroffenen, die sich engagieren und einbringen, die Schuld zu geben. Das ist eine Selbstaufgabe der Politik.

Da muss man einmal darüber reden, ob es nicht im EU-Parlament zusätzliche Mitarbeiter für die Berichterstatter der Ausschüsse des Parlaments geben soll. Die Infrastruktur, die wir als Politiker haben, sollte uns die gleichen Beteiligungschancen geben, wie sie auch Minister und der Rat haben.

Es geht mir darum, welches Selbstverständnis hat ein Mandatar, welche Infrastruktur hat ein Mandatar. Wie gehe ich mit meiner Verantwortung um? Und ich appelliere an alle, die Dinge die sie ärgern, ändern zu wollen - aber nicht Schuld zuzuweisen. Politiker haben vor Problemen nicht zu flüchten. (mka, derStandard.at, 7.7.2010)