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Eine Tea Party-Sympathisantin bei einer Veranstaltung im April in Nashville, Tennessee.

Foto: AP/Humphrey

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Buttons beim Tea Party-Kongress in Boston

Foto: Reuters/Brian Snyder

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Hoffnungsträgerin Sarah Palin

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4. Juli, kurz nach Mittag in Alamo, Nordkalifornien. Das Thermometer zeigt 37 Grad Celsius. "Hier ist das Wetter immer so am Independence Day", sagt Jane und fächert sich ein wenig Luft zu. Petrus, so viel steht fest, muss ein Konservativer sein. Jedenfalls verteilt er Sonnenschein und Nebelwolken an diesem Tag getreu der ideologischen Brüche, die rund um San Francisco stärker noch als im Rest der USA wie tektonische Platten verlaufen. In der liberalen Hafenstadt ist dicker Nebel aufgezogen. Jane, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, freut's. "Hier ist eben das echte Amerika zuhause."

Hier, das ist Alamo, ein von Villen, besenreinen Chausseen und Freeways durchzogener Pendlerort, knapp eine Autostunde östlich von San Francisco. So wie ein Gutteil der East Bay ist das 15.000-Einwohner-Städtchen eine Bastion der Demokraten. Es ist aber auch eine kalifornische Hochburg der im Frühling 2009 gegründeten Tea Party, eines ultraorthodoxen, lose strukturierten Sammelbeckens für Konservative mit Faible für Populismus Marke Sarah Palin. Die es sich, so wie Jane, zum Ziel gesetzt haben, "die demokratischen Penner aus dem Amt zu jagen und uns unser Land wieder zurückzuholen".

Gut zwei Dutzend Tea Party-Aktivisten, fast alle weiß, die meisten über fünfzig, haben sich am 4. Juli zum Independence Day-BBQ der East Bay Tea Party im Livorna-Park zu Alamo getroffen. Und üben sich im kollektiven Ärgern.

Ein verärgerter State of Mind

Mehr als 50 derartige Vereine gibt es in Kalifornien, etwa 3.000 in den übrigen Bundesstaaten. Zu viele, um von den etablierten Parteien vor den anstehenden Midterm-Elections ignoriert zu werden. Umfragen zufolge sympathisiert jeder dritte erwachsene US-Bürger mit der Tea Party. Ihre medialen Transmitter sind konservative Talkradios und FOX News, allen voran die Hosts Glenn Beck und Rush Limbaugh. Dabei ist die Tea Party keine Wahlpartei, sondern viel mehr ein state of mind. Oder besser: ein Zustand. Einigendes Merkmal dieser Bewegung der Angefressenen: Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation.

Was für die Flower Power-Bewegung der 60er der Vietnamkrieg war, ist für die Tea Party-Bewegung der 10er-Jahre die Gesundheitsreform. Während die einen Mitmenschlichkeit forderten, predigen die Sektierer von heute Individualismus um jeden Preis. Und das am liebsten im Kollektiv. Sie fühlen sich dabei wie die Hippies anno dazumal moralisch im Recht. "Wir wollen der Mehrheit wieder eine Stimme geben." No taxation without representation lautete der Schlachtruf der Boston Tea Party Ende des 18. Jahrhunderts. Ihre Proteste läuteten die Loslösung der wenig später gegründeten USA vom britischen Empire ein. Ihre vermeintlichen Erben wollen aber weder Steuer zahlen noch wollen sie von einem "Big Government" vertreten werden.

Feindbild Barack Obama

Und am wenigsten von Barack Obama, der all jenes vereint, was Jane und ihresgleichen fürchten: Jugend, Liberalismus, Weltoffenheit, Diversität. Der Präsident sei ein "Sozialist und Kommunist", infiltriert von den Lehren Marx', der die USA an China verkaufen will. Das  findet zumindest Jane. Offen aussprechen will aber niemand, dass hinter der Fassade der Kritik auch Dünkel ob der Hautfarbe des Präsidenten eine Rolle spielen. "Auf den Veranstaltungen, auf denen ich bisher war, herrschte ein klar rassistischer Unterton", sagt Politologin Barbara O'Connor von der California State University in Sacramento (CSUS), die das rechte Spektrum seit den 70ern analysiert.

"Waterboard Pelosi"

Mehr als drei Viertel der Tea Party-Mitglieder sind Weiße, zu fast zwei Dritteln sind es Männer. Einer davon, ein untersetzter Mann um die sechzig mit Schnauzer, hat es sich im Livorna-Park auf einer Bank gemütlich gemacht. Und zieht gegen Obama vom Leder. "Seine Geburtsurkunde ist gefälscht, er ist Kenianer." Als er wenig später seinen Hut abnimmt, kann man die Aufschrift des Ansteckers erkennen, den er an dessen Band geheftet hat: "Waterboard Pelosi". Gemeint ist Nancy Pelosi, demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus. Für Expertin O'Connor ist diese radikale Rhetorik kein Zufall: "Die Tea Party spielt mit Ängsten, sie will polarisieren, auffallen um jeden Preis. Sie nennen sich Patrioten, obwohl ich mir nicht so sicher bin, ob sie wissen was dies eigentlich bedeutet." Auch über die Ängste der verärgerten Amerikaner gibt eine Umfrage Auskunft, Staatsschulden, Terror und eine übermächtige Regierung stehen ganz oben.

Wer sich nicht vor den Karren der Tea Party spannen lassen will, wird daher als unpatriotisch gebrandmarkt. So versucht die Pressure Group Abgeordnete oder Kandidaten zu konservativer Politik zu zwingen, vor allem in Sachen Steuern. Tatsächlich hält sich die Tea Party auch gegenüber republikanischen Abgeordneten nicht zurück, wenn sie Ansätze von fiscal irresponsibility ortet. Es war Präsident Bush, der Ende 2008 das erste, 700 Milliarden Dollar schwere Bailout-Paket für die trudelnde Wall Street unterzeichnete. "Wir glauben an den freien Markt, wer nicht gut arbeitet, dem soll der Staat auch nicht helfen", meint Jane. "Wir wollen nicht sozialistisch werden." Aber auch Demokraten, die Eingriffe des Staates in die Privatwirtschaft ablehnen, etwa Walt Minnick aus Idaho, werden von der Tea Party unterstützt.

Offizielle Überparteilichkeit

"Trotzdem ist die Tea Party in weiten Teilen ein republikanischer Wählerblock", meint Politologin O'Connor. 80 Prozent ihrer Mitglieder, so ergab es eine Gallup-Umfrage Anfang Juli, würden bei der nächsten Kongresswahl die Republikaner wählen. Während sich nur 29 Prozent der US-Amerikaner der gleichen Umfrage zufolge als konservative Republikaner betrachten, sind es unter den Tea Party-Unterstützern fast zwei Drittel. Offiziell will sich niemand als republikanische Vorfeldorganisation bezeichnet wissen. "Wir unterstützen Politiker in beiden Parteien, die unsere Werte vertreten", sagt Sal Russo, ein Politikberater in Sacramento, der in den 80er-Jahren für Präsident Ronald Reagan gearbeitet und über enge Kontakte in Washington verfügt.

Kaum war Barack Obama im Amt, hob Russo im Februar 2009 den Tea Party Express aus der Taufe, der heute als größte und einflussreichste Fraktion der Ultrakonservativen in den USA gilt. In einem rot bemalten Bus tingelt Russo mit Tea Party-Aktivisten durch die Lande und leistet Kandidaten, fast durchwegs Republikaner, propagandistische Schützenhilfe.

Palins "Anti-Establishment-Touch"

Die Idee dazu stammt noch aus der von Russo konzipierten "America Deserves Better"-Kampagne für Präsidentschaftskandidat John McCain. 400.000 Mitglieder hat der Tea Party Express nach eigenen Angaben, fünf Dollar fließen im Schnitt pro Kopf und Nase in die Spendenkasse. Auch Sarah Palin, John McCains Vizekandidatin, zählt zum Dunstkreis. Drei Mal war sie schon mit dem Tea Party Express auf USA-Tournee. "Ich mag sie, sie hat diesen Anti-Establishment-Touch", sagt Russo. 

Von Chuck DeVore, republikanischem Abgeordneter im kalifornischen Kapitol, lässt sich das nicht behaupten. Seit 1986 ist er in politischer Funktion, auch er gehörte zu Ronald Reagans Beraterstab. Heute gehört er zu den treuesten Tea Party-Anhängern in Sacramento. "Man unterstützt sich gegenseitig, auch über die Staatsgrenzen hinweg. Ich habe geholfen, für einen Republikaner in Texas Geld zu sammeln."

Klimaschutz kein Thema

DeVore selbst hat die Hilfe der Tea Party nur bedingt genutzt, seine Partei schickte nicht ihn, sondern Ex-HP-Chefin Carly Fiorina ins Rennen um den US-Senat gegen Barbara Boxer, eine linksliberale Demokratin. Boxer, seit 1993 im Amt, leitet den Umweltausschuss im Senat und bekam im kalifornischen Vorwahlkampf die Macht von DeVores Tea Party-Connection zu spüren. Der Republikaner ließ seine Anhänger 55.000 Faxnachrichten an Boxer schicken, in denen sie ihren Unmut über Präsident Obamas Klimapolitik ausdrückten. Denn was Klimaschutz betrifft, befindet sich Armeereservist DeVore ganz auf Tea Party-Linie. "Der Mensch kann nichts dafür, wenn sich die Sonne plötzlich anders bewegt." (flon/derStandard.at, 12.7.2010)