In Polen hat der Mut über die Angst gesiegt. Für Europa ist dies von entscheidender Bedeutung. Denn Polen wird nun kein Bremsklotz mehr sein, sondern sich aktiv und konstruktiv in der EU engagieren. Mit dem neuen Präsidenten Bronislaw Komorowski verschwindet die Angst vor Europa, vor Deutschland und Russland, die die Präsidentschaft Lech Kaczyñskis prägte. Bereits Außenminister Radoslaw Sikorski, der wie Komorowski der liberalkonservativen Bürgerplattform angehört, initiierte die "Östliche Partnerschaft" in der EU, die aber mangels Unterstützung des polnischen Präsidenten nicht recht voran kam. Zudem litt das Konzept darunter, dass Russland bewusst beiseite gelassen wurde. Dies könnte mit Komorowski nun anders werden.

Sein Wahlslogan "Eintracht baut auf" ist keine leere Rhetorik, sondern geht auf politische Erfahrungen zurück. Als Vorsitzender des polnischen Abgeordnetenhauses förderte er die deutsch-polnische Zusammenarbeit, wo er nur konnte. Deutschland ist kein Angstgegner für Komorowski. Erst jetzt besteht die Chance, dass sich zwischen Polen und Deutschland eine Freundschaft entwickelt, so wie sie schon lange zwischen Frankreich und Deutschland besteht. Aber mit Komorowski beginnt auch eine neue Qualität im innereuropäischen Dialog. An die Stelle von Angst und Misstrauen treten Zusammenarbeit und Partnerschaft. Europa geht aus den polnischen Wahlen gestärkt hervor.

Denn der Schlüssel für eine stärkere EU liegt in Polen. Das aus drei Ländern bestehende "Weimarer Dreieck" könnte nun erstmals zur "Lokomotive der EU" werden. Denn Frankreich und Deutschland alleine ist mit der Finanzkrise die Luft ausgegangen, um der EU noch entscheidende Impulse zu geben. Die neue EU-Außenministerin ist mit der Organisation des diplomatischen Dienstes beschäftigt. Polen aber hat die Ambition, in der EU-Ostpolitik ein gewichtiges Wort mitzureden. Voraussetzung dafür ist ein offener Dialog zwischen Russland und Polen.

Ein Anfang ist gemacht. In den Wäldern von Katyn reichten sich am 7. April Wladimir Putin und Donald Tusk, die Premierminister Russlands und Polens, die Hände. Fast fünf Jahrzehnte hatte der Kreml die Schuld an dem Massaker an 22.000 polnischen Offizieren den Deutschen in die Schuhe schieben wollen. Im April kündigte Putin an, alles in seiner Macht Stehende tun zu wollen, um das Stalin-Verbrechen von 1940 endgültig aufzuklären. Weil drei Tage später das Flugzeug des polnischen Präsidenten in Smolensk abstürzte – Lech Kaczyñski wollte der Mordopfer von Katyn gedenken – geriet die Versöhnungsgeste zwischen Tusk und Putin fast in Vergessenheit.

Doch Moskau und Warschau wollen endlich aus dem Schatten der Geschichte heraustreten. Lech Kaczyñski hatte dieses Ziel ebenso torpediert wie sein Bruder Jaroslaw. Bronislaw Komorowski wird jedoch die Politik der Annäherung zwischen Russland und Polen fortsetzen. (Gabriele Lesser/DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2010)