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Am Strand von Alabama treibt eine US-amerikanische Flagge aus Plastik im vom Öl verschmutzten Wasser

Foto: APA/DAN ANDERSON

Moskau/Washington - Es ist weder ein Aprilscherz noch eine geheime Mission von James Bond, sondern ein ernst gemeinter Vorschlag einiger erfahrener Wissenschafter aus Russland und den USA: Eine atomare Sprengung über dem Bohrloch von BP im Golf von Mexiko. "Ich weiß nicht, worauf BP wartet. Sie verschwenden ihre Zeit", sagt der frühere langjährige russische Atomenergieminister und Physiker, Victor Michailow. "Man braucht nur rund zehn Kilotonnen atomare Sprengkraft und das Problem ist gelöst", lautet sein Rat.

Unterstützung aus den USA

Tatsächlich aber steht er nicht alleine da mit seinem Vorschlag einer Atomexplosion unter Wasser. Auch in den USA können sich Experten dafür erwärmen. Milo Nordyke, einer der führenden US-Forscher im Bereich Einsatz der Atomkraft zu friedlichen Zwecken, sieht eine atomare Sprengung als logische, letzte Möglichkeit für BP, das Problem in den Griff zu bekommen.

Auch Matthew Simmons, ein ehemaliger Energie-Berater von Ex-Präsident George W. Bush, hat sich dafür ausgesprochen. "Es ist in etwa so, als ob man auf einen Gartenschlauch tritt, um ihn abzuknicken", sagt Christopher Brownfield, Atom-Experte an der Columbia University und ehemaliger Atom-U-Boot-Offizier sowie Irakkriegsveteran. Brownfield allerdings wäre auch für den Einsatz herkömmlichen Sprengstoffes. Diese Idee fand zuletzt auch Ex-Präsident Bill Clinton gut. "So lange wir unsere Marine nicht dahin schicken, und sie das Loch zur Explosion bringen lassen, damit es mit Unmengen an Schutt, Stein und Trümmern gestopft wird, sind wir auf die technische Expertise dieser Leute von BP angewiesen", sagte Clinton unlängst bei einer Konferenz in Südafrika.

1966: Brennendes Gasfeld durch Explosion in den Griff bekommen

Über eine Sprengung der undichten Stelle, aus der bis heute rund 60.000 Barrel Öl ins Meer laufen, wird seit Wochen im Internet debattiert. Sowohl die USA als auch die damalige Sowjetunion hatten während des Kalten Krieges große Pläne für die Nutzung atomarer Sprengungen auch im zivilen Bereich. Wegen unberechenbarer Gefahren für die Umwelt wurden diese aber weitgehend auf Eis gelegt. 1966 setzten die Sowjets erstmals Atomkraft ein, um ein brennendes Gasfeld in den Griff zu bekommen. Teilnehmern zufolge blieb von dem Gas-Leck in Urtabulak in Usbekistan nach der Explosion nur noch ein leerer Krater übrig.

Insgesamt sprengten die Sowjets fünf Gasquellen atomar und waren drei bis viermal damit erfolgreich - das Ergebnis hängt davon ab, wen man dazu befragt. "Es gibt keinen Grund zu denken, in den USA würde es nicht funktionieren", sagt Nordyke, der US-Forscher. Der russische Experte Albert Wasiljew räumt zwei Misserfolge ein. Bei einem Versuch seien die nächsten Wohnhäuser nur rund 400 Meter entfernt gewesen. Daher habe man nur einen sehr kleinen Sprengsatz einsetzen können, deren Sprengkraft nicht gereicht habe, um das Gas zurückzudrängen, sagte Wasiljew über einen Versuch aus dem Jahr 1979 nahe der ukrainischen Stadt Charkow. "Sogar die Straßenlampen haben die Explosion überstanden."

Kritische Gegenstimmen

Aber auch auf russischer Seite gibt es kritische Stimmen. Ein Experte des größten russischen Ölexporteurs, Rosneft, der namentlich nicht genannt werden wollte, appelliert an die USA, solche Rufe nach einer Atomexplosion im Fall von BP zu ignorieren. "Das würde Tschernobyl nach Amerika bringen", warnt er. Der Moskauer Greenpeace-Experte Wladimir Chuprow stellt zudem die Darstellungen der Wissenschafter infrage.

Viele Lecks seien nach den Explosionen wieder aufgebrochen. "Ich würde vorschlagen, dass die internationale Gemeinschaft nicht auf die Russen hört. Die Russen sind scharf darauf, besonders kranke Sachen vorzuschlagen", sagte er. Letztlich räumte auch Ex-Minister Michailow ein, das sowjetische Atomprogramm zur Schließung von Gas-Lecks habe auch wegen später austretender Radioaktivität beendet werden müssen. "Dennoch: Ich sehe keine andere Lösung für das Bohrloch im Golf von Mexiko", sagt er.

Nordyke taxiert die Chancen für einen Erfolg im Falle von BP auf 80 bis 90 Prozent. Ihm zufolge müsste eine Sprengkraft von rund 30 Kilotonnen erreicht werden - das wäre in etwa zweimal so viel wie die Atombombe gegen Hiroshima. Zwar gab es noch nie eine Unterwasser-Detonation dieser Art. Nordyke zufolge wäre das aber kein Problem. Möglicherweise austretende Radioaktivität sei zudem eine kleinere Gefahr als herumschwimmende Öl-Fetzen, so der Experte. Die Haltung der USA ist indes klar. Das Energieministerium hat angesichts der offensichtlichen Risiken keine Pläne, Sprengungen am Bohrloch durchzuführen, so eine Sprecherin des Ministeriums. (Reuters)