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Jeff Rubin

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STANDARD: Nach dem Unglück im Golf von Mexiko hat die Obama-Regierung eine sechsmonatige Sperre für Tiefseebohrungen verhängt, ein US-Gericht hat sie vergangene Woche wieder aufgehoben. Wird die Entscheidung halten?

Rubin: Über die Zukunft der Offshore-Bohrungen wird weder die US-Regierung noch der Supreme Court entscheiden, sondern der Markt. BP hat bereits mehr als 50 Prozent seines Werts verloren, die Firma wird sehr wahrscheinlich pleitegehen oder übernommen werden. Werden andere Firmen wie Shell oder Exxon ihre Bohrungen dann noch weiterführen? Wahrscheinlich nicht. Die Katastrophe ist vergleichbar mit dem Three-Mile-Island-Unfall in den USA 1979 (Unfall in einem Kernkraftwerk, Anm.): Danach war es unmöglich, Atomkraftwerke in den USA zu finanzieren oder zu versichern.

STANDARD: Das könnte das Ende der Tiefseeölproduktion sein?

Rubin: Ja, die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmt nicht mehr. Wenn ein Bohrloch leckt und es eine Ölpest gibt - und das können Firmen nicht ausschließen - sind sie nachher pleite.

STANDARD: Was passiert, wenn kein Tiefseeöl mehr gefördert wird?

Rubin: Wir müssen heute immer mehr Öl finden, nur um weiterhin gleich viel verbrauchen zu können. Das einfach zu fördernde Öl, das drei, vier Dollar pro Barrel kostet, geht aus. Derzeit ersetzen wir es mit Tiefseeöl, das mindestens 60 Dollar pro Barrel kostet. Wenn wir die Tiefseeförderung abdrehen, sind wir abhängig von Teersand - und dann kostet ein Barrel eine dreistellige Summe.

STANDARD: Was bedeutet das für die globale Wirtschaft?

Rubin: Derzeit ist unsere Wirtschaft so organisiert, dass die Produktion getrennt ist von den Märkten. Das lohnt sich wegen der Lohnunterschiede, braucht aber enorm viel Energie. In einer Welt, in der Öl dreistellige Beträge kostet, macht es keinen Sinn mehr, Stahl von China nach Nordamerika zu importieren. Die Kosten übersteigen die Lohnunterschiede - auf einmal würden die Stahlwerke zurückkehren in die USA. Länder werden auch Agrarprodukte wieder vermehrt selbst erzeugen. Der globale Handel wird niemals mehr so wachsen wie früher, stattdessen wird regionaler Handel zunehmen.

STANDARD: Wann rechnen Sie mit dreistelligen Ölpreisen?

Rubin: Wenn die Weltwirtschaft weiter wächst nächstes Jahr. Wenn wir nicht die Art ändern, wie unsere Wirtschaft organisiert ist, wird die Grenze des Öls sich sehr schnell in die Grenze des BIP verwandeln.

STANDARD: Europa und Nordamerika hatten für ihre Entwicklung jede Menge billige Energie. Was passiert mit Entwicklungsländern, die keine günstige Energie bekommen?

Rubin: Fast jeder Entwicklungsindex ist gekoppelt an den Energieverbrauch pro Einwohner. Wenn Ölreserven nicht mehr wachsen, wird Ölverbrauch ein Nullsummenspiel: Für 13 Millionen neue Autos in China müssen irgendwo anders 13 Millionen Autos von der Straße. Entwicklungsländer müssen einen Weg finden, wie ihr BIP wachsen kann, ohne dass ihr Energieverbrauch wächst.

STANDARD: Wird das die Entwicklung dieser Länder bremsen?

Rubin: Ja, wahrscheinlich. Das gilt aber auch für entwickelte Länder. Wir können dreistellige Ölpreise wahrscheinlich nicht verhindern. Aber wenn wir unsere Wirtschaft regional organisieren, werden wir davon nicht so hart getroffen. (Tobias Müller, DER STANDARD, Printausgabe, 5.7.2010)