Foto: DER STANDARD/Cremer

Bescheidenheit ist eine Zier, doch Peter Pilz lebt ohne ihr: "Ich weiß wenigstens, was der Mittelpunkt meines Lebens ist" , sagt er. Pilz möchte die Welt, das Parlament und die Grünen verbessern.

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Standard: Wie lange sind Sie schon im Parlament?

Pilz: 24 Jahre, allerdings inklusive Wiener Landtag.

Standard: Und geht es noch?

Pilz: Immer besser. Langsam habe ich den Eindruck, dass ich den Beruf erlernt habe.

Standard: Ist das Parlament tatsächlich ein Ort, an dem man langfristig Zeit verbringen möchte?

Pilz: Es ist der Ort, an dem entschieden wird, ob sich Österreich endlich zu einer echten parlamentarischen Demokratie und zu einem demokratischen Rechtsstaat entwickelt. Das österreichische Parlament ist noch immer so etwas wie der Blinddarm der Regierung, der ab und zu ein bissl juckt und wo sich der Kanzler dann überlegt, wie man mit einer leichten Blinddarmreizung umgeht.

Standard: Was kann ein einzelner Abgeordneter da bewegen?

Pilz: Das Parlament hat drei Hauptfunktionen: Gesetzgebung, Budget und die Kontrolle. In der Kontrolle bewirken wir sehr viel. Wir können natürlich nicht so etwas wie eine politische Verantwortungskultur durchsetzen. Die hat in Österreich keine Tradition, die gibt es nicht. Bevor ein Minister in Österreich nicht eingesperrt wird, tritt er nicht zurück. Das ist ein Missstand, an dem wir nichts ändern können. Aber wir können dafür sorgen, dass kontrolliert wird, dass es U-Ausschüsse gibt und dass Minister wissen: Wenn sie ihr Amt systematisch missbrauchen, müssen sie sich zumindest in einem Ausschuss verantworten. Das waren grüne Abgeordnete, die für diese Kontrolle gesorgt haben. Ein nennenswerter Gesetzgebungsprozess ist eine viel größere Herausforderung.

Standard: Stimmt das Klischee, dass die von der Regierung vorbereiteten Gesetze im Parlament von den Abgeordneten nur durchgewinkt werden?

Pilz: Dieses Klischee stimmt. Das Parlament ist eine Gesetzesdurchreiche. Die Regierungsvorlage kommt oben rein und hinten unverdaut heraus. Es gab Ausschüsse, wo Regierungsabgeordnete nicht einmal wussten, welches Gesetz gerade verhandelt wird. Viele Abgeordnete haben aufgrund ihrer totalen Entmündigung jedes Interesse an ihrer gesetzgeberischen Tätigkeit verloren. Ihr Gehalt ist der höchste Hilflosenzuschuss Österreichs.

Standard: Liegt das an den Abgeordneten oder den Parteien?

Pilz: An beiden. Wir haben ein Nasenring-Parlament, wo zum Teil hochqualifizierte, in ihrem sonstigen Leben selbstständige Abgeordnete auf den kleinsten Leinenzug des Klubobmanns reagieren. Das liegt nicht nur am Nasenring und an der Leine, das liegt auch an den Nasen selbst. So lange diese Abgeordneten der Regierung nicht anhand konkreter Konflikte signalisieren, da gibt es ein Parlament, das etwas auf sich hält, so lange wird der Parlamentarismus bei uns nicht funktionieren.

Standard: Woran machen Sie das konkret fest?

Pilz: Am schlimmsten war in jüngster Vergangenheit das Glücksspielgesetz. Das war die schlimmste Erfahrung, dass es dem organisierten Glücksspiel gelingt, sich ein Gesetz zu kaufen, während fast alle Abgeordneten sagen, eigentlich ist das Gesetz falsch und verantwortungslos. Es missachtet die Interessen der Spielsüchtigen und deren Familien, es vertritt nur die Interessen des organisierten Glücksspiels.

Standard: Und es hat eine Mehrheit gefunden.

Pilz: Die Abgeordneten der Regierungsparteien haben sich der Reihe nach zu Wort gemeldet und unsere Position vertreten. Sie haben ein unglaublich schlechtes Gewissen gehabt, das hat aber nicht gereicht, zu einem politischen Gewissen zu werden. Aus dem Parlament wird erst dann ein Vollparlament, wenn wir Abgeordnete der Regierungsparteien davon überzeugen, dass sie sich zumindest in solchen Fällen gegen die Regierung stellen. So lange wir ein Befehlsparlament sind, werden die Menschen zu Recht keinen Respekt vor der Politik haben.

Standard: Da hat die ewige Oppositionspartei leicht reden. Die Grünen sind ja immer nur dagegen.

Pilz: Wir sind nicht immer nur dagegen. Wir versuchen auch zu zeigen, wie es anders geht, vom Glücksspielgesetz bis hin zur Energiepolitik. Das ist typisch für die österreichische Situation: Von der Bildung bis zur Sicherheitspolitik haben wir außerhalb des Parlaments immer öfter Mehrheiten der Vernunft. Würde man die Menschen abstimmen lassen, ob es eine gemeinsame Schule geben soll, hätten wir sie längst. Von der Energiepolitik bis zur Schulpolitik und zur Einwanderungspolitik - das sind längst grüne Themen.

Standard: Die sich die Grünen aus der Hand nehmen lassen.

Pilz: Weil es mit Kommentieren nicht genug ist. Wir müssen in die Konflikte reingehen, sie durchkämpfen und einen Konflikt nach dem anderen gewinnen. Wenn es eine grüne Schwäche gibt, ist es unsere Konfliktschwäche. Wir müssen uns entscheiden, ob wir an der Outlinie stehen und reinkeppeln oder ob wir aufs Spielfeld gehen, um jeden Ball kämpfen und Tore schießen. Die Regierung ist automatisch auf dem Spielfeld. Wir müssen rein, von der Gerechtigkeit, der Besteuerung der Reichen bis hin zu einer großen ökologischen Wende.

Standard: Die Grünen haben vom Ausbruch der Ölkatastrophe an zwei Monate gebraucht, ehe sie ein Transparent beim Fenster rausgehängt haben. Bis die Grünen auf dem Spielfeld sind, ist das Match doch längst vorbei.

Pilz: Das ist zu langsam, und das ist vielen bei uns auch nicht recht. Es ist ein schönes Stück Arbeit, uns Grüne umzustellen auf eine Partei, die um jede Frage, jede Antwort und jede Entscheidung kämpft. Wir müssen wieder streiten und kämpfen lernen.

Standard: Auf der anderen Seite wollen Sie unbedingt regieren. Das ist doch ein Widerspruch.

Pilz: Wir müssen um eine politische Wende kämpfen, die neue Ideen und neue Politik in die Köpfe bringt und sich auf der Straße Unterstützung holt - und dann regieren. Am Beispiel Wien: Nicht um Rot-Grün bitten, sondern das System Häupl mit einem grünen Wahlerfolg beenden und der SPÖ dann aus einer Position der Stärke heraus ein Angebot machen.

Standard: Die Grünen streiten in wenigstens drei von 23 Bezirken. Ist das eine Position der Stärke?

Pilz: Dass es auf Bezirksratsebene Stichwahlen gibt und einzelne unzufrieden sind, regt mich nicht besonders auf. Das Entscheidende ist die Herausforderung des Systems Häupl und der Wettlauf zwischen Grün und Schwarz in Wien. Es wird keinen Bürgermeister Strache geben, aber es wird auch keine absolute Mehrheit der SPÖ geben. Wien wird schwarz-rot oder grün-rot regiert. Das müssen wir Grüne viel deutlicher machen.

Standard: Werden Sie sich in Wien engagieren?

Pilz: Na selbstverständlich. Und zwar auf der Straße, wo wir Grünen wieder hingehören.

Standard: Nach Van der Bellen die nächste Nachwuchshoffung?

Pilz: Ich helfe, wo ich kann. (Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 3.7.2010)