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Losgelöst von den Beschwernissen sterilen intellektualistischen Sammelns: Gert Jonke.

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Es tut gut, nach Massen von reinen Hirntraktatverfassern einen Vollblutfantasten in die Hand zu kriegen. Und es tut ebenso gut, einen zu lesen, der den ebenso gängigen wie dummen Vorwurf des Artifiziellen als geistigen Vor-Wurf nimmt.

Einen, der nicht mehr unter uns weilt.

"Nun, da sein Mund verstummt ist, da er aufgehört hat, seine nie zuvor gehörten Worte und Sätze zwischen Erde und Himmel, zwischen dem Wirklichen, dem Erdachten und Erhofften zu spannen, da er aufgehört hat, unsere Vorstellungskraft mit seinen poetischen Glücksempfindungsblitzen zu reizen und zu beleben, können wir, wenn wir ihm begegnen wollen, uns nur noch an seine Bücher halten" , schreibt der Herausgeber des hochnotpoetischen Kleinods Alle Gedichte, Klaus Amann, in seinem Nachruf über Gert Jonke.

Zwischen den Buchdeckeln dieses Sammelsuriums findet der Leser in, mit, neben und durch Alle Gedichte einen Querschnitt Jonke'scher Klang- und Sprachwelten, von seiner ersten bis zu seiner letzten Veröffentlichung - und die erstmals in Buchform veröffentlichten Jugendwerke. Ein Querschnitt seiner Lyrik und seines langgezogenen Gedichteten, seiner wie ein Gedicht anmutenden Prosa. Um dieses Buch zu rezensieren, dürfte der Rezensent nicht dieses Buch rezensieren, nein, er müsste die Schreibzeit für diese Rezensionsarbeit dafür verwenden, über seine Daseinsberechtigung als über ein Buch schreibender Leser nachzudenken. Mit Gert Jonke nachdenken:

... kommen mir diese Eindeutigkeitsidiotisten vor wie dilettantische Botaniker, die mit einem Grashalm herumfuchtelnd behaupten, dieser herumgefuchtelte Grashalm sei die einzige und eindeutige Antwort zur Auflösung eines schwer verständlichen Wiesenrätsels ...

Es ist müßig, Jonkes Inhalte aufzuspüren: Sie sind. Es ist nicht müßig, Jonkes Sprache nachzugehen. Denn hier spielt einer mit all seinen wachen und wachsamen Sensorien mit geradezu körperlicher Wirkung auf der Registratur ebenso aufnahmewilliger Gegen- wie Mitsensorien. Die Sprache löst sich vom gewichtigen Intellekt und greift in den autonomen leichtfüßigen Sensus. Sie abstrahiert an der Oberfläche, um Tiefen öffnen zu können.

Losgelöst von den Beschwernissen sterilen intellektualistischen Sammelns und Hortens, das lächerliche Füllsel beiseite schiebend, geht Jonkes Sprache in die reine Dimension.

ICH BIN SCHRIFTSTELLER

Ich verwende meine Füllfeder als Aussichtsturm

den Aussichtsturm als Schiffsmast

den Schiffsmast aber als Uhrzeiger welcher

auch der zu Stein fossilierte Speer eines

Schwertfisches sein soll den man zwischen zwei

flügelförmige Himmelshälften

gespannt hat um

mit deren Hilfe ordentlich diesen Tag zu

überqueren und hernach im Gasthaus zu verschwinden!

Am Scheitel dieser gebogenen Flugbahn

Klettere ich einen Morgen weiter

Das Lyrische entfaltet sich mit weitem Atem, ununterbrochen und unbelastet, ganz von selbst aufsteigend und Breite gewinnend. Eine Breite, die sich selbst den Abstand bestimmt zu den Dingen. Denn die Stimmung verlässt sich nicht auf die Stimmung, das Faktum nicht auf das Faktum, die Sache nicht auf die Sache: Sie werden erst. Und sie werden nicht mitgeteilt; sie teilen sich selbst mit.

... die Geschichten / die geschrieben / so gut in jedem Falle / viel besser / als die Geschichten / die man macht / wurde befohlen / keine Geschichten mehr zu machen / sondern nur mehr Geschichten zu schreiben ...

Hier ist Jonkes Kunst: Die Ausdrucksgenauigkeit geht nie auf Kosten der Sprachgenauigkeit. Die vermeintliche Kluft zwischen Wirklichkeit und Fiktion wird durch Sprache geschlossen. Kein Wort ist auswechselbar, soll heißen: Jedes Wort ist notwendig. Weil Sprache dazu gezwungen wird, immer dürftiger und ausgedörrter zu werden (und diesem Zwang ist Sprache ausgesetzt), wäre Gert Jonke mit seiner Poesie, sofern man seine Klänge wahrnähme, einer ihrer Heiler. Gewiss: Das alles sind Behauptungen einer Qualität, keine Beweise. Und dennoch und jedenfalls: Bei diesem Buch, bei diesem Werk, bei diesem Dichter kann die Kritik ihre Hände getrost in den Schoß legen und darf sich weigern zu arbeiten, statt sich zu überlassen, sich seiner Poesie zu überantworten. (Wilhelm Huber, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.07.2010)