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London, 10. Mai: Drinnen verhandelten die LibDems und David Camerons Konservative, draußen protestierten Menschen für eine Änderung des Wahlrechts.

Foto: EPA/FELIPE TRUEBA

London - Die Briten sollen im kommenden Jahr über eine Reform des Wahlrechts abstimmen. Vize-Premier Nick Clegg werde eine Volksabstimmung am 5. Mai 2011 ankündigen, berichtete der britische Rundfunksender BBC am Donnerstag unter Berufung auf Regierungskreise. Die Reform des britischen Wahlrechts, das kleinere Parteien benachteiligt, war die zentrale Bedingung der Liberaldemokraten für die Bildung einer Koalition mit den Konservativen nach der Parlamentswahl Anfang Mai.

Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Am 5. Mai sind Lokalwahlen in England sowie Parlamentswahlen in Schottland und Wales. Dass Referendum und Wahlen zeitlich zusammenfallen, soll die Beteiligung steigern, so die von der BBC zitierte Quelle.

An die Stelle des Mehrheitswahlrechts, bei dem in jedem Wahlkreis nur ein Kandidat gewählt wird, soll nach Wunsch der Lib Dems ein Verhältniswahlrecht treten, das den Stimmenanteil der Parteien bei der Vergabe der Sitze berücksichtigt. 

AV-System

Das von Nick Clegg geforderte "Alternative-Vote" (AV-System), das in Nordirland bereits zur Anwendung kommt, sähe in der Praxis so aus: Der Wähler kann entscheiden, einfach einen Kandidaten anzukreuzen oder seiner Präferenzen für die Kandidaten mittels einer Reihenfolge Ausdruck zu verleihen.

Beim Auszählen werden die Stimmzettel zu Stapeln aufgetürmt. Jedem Kandidaten fällt dabei ein Stapel zu. Jeder Kandidat erhält nur die Stimmzettel, auf denen er als einziger Kandidat markiert oder auf denen er an die erste Stelle gesetzt wurde. Dann werden die Stapel der Größe nach geordnet und die Stimmzettel gezählt. Liegt in diesem System ein Kandidat mit mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmzettel an erster Stelle, oder wurde er dort als einziger markiert, dann gilt er als gewählt. 

Trifft das nicht zu, wird der niedrigste Stapel aufgelöst und die auf diesen Zetteln an zweiter Stelle genannten Kandidaten werden dem jeweiligen Haufen zugeteilt. Hat dann immer noch kein Kandidat eine absolute Mehrheit, wird mit dem zweitniedrigsten Stapel genauso verfahren. Das geht so lange, bis ein Gewinner feststeht.

Wenig demokratisch, aber klar?

Kritiker halten das Wahlrecht in Großbritannien schon länger für überholt und ungerecht, doch diesmal steht es besonders unter Beschuss. Die Zeitung "The Independent" hat sogar eine Kampagne dagegen gestartet. Denn in Großbritannien gilt anders als in Deutschland ein reines Mehrheitswahlrecht. Es gibt nur Direktmandate und keine Listenplätze.

Das Land ist in 650 Wahlkreise unterteilt. Pro Wahlkreis wird je ein Mandat an denjenigen Kandidaten vergeben, der die meisten Stimmen bekommt. Die Stimmen der unterlegenen Kandidaten fallen damit automatisch unter den Tisch. Oder anders gesagt: Es kommt der ins Parlament, der die meisten Stimmen auf sich vereinen kann, die anderen Stimmen verfallen. Vereint etwa in einem Wahlkreis Person X mit etwa nur 30 Prozent die meisten Stimmen auf sich, hat er automatisch gewonnen, auch wenn die restlichen 70 Prozent der Wähler ihr Kreuz wo anders gemacht oder Person Y zum Beispiel 29 Prozent erreicht hat. Diese Stimmen zählen nicht mehr. Ein First-past-the-post-Mehrheitswahlrecht, das zum Untergang einer Partei führen kann, auch wenn sie insgesamt noch auf einen ganz passablen Prozentanteil kommt.

In der Praxis sieht das derzeit so aus: Die Liberaldemokraten haben mit 23 Prozent der Stimmen 57 Sitze errungen, Labour mit gerade einmal sechs Prozent mehr Stimmen aber 258 Sitze. 

Die Tories wollen eigentlich am alten System festhalten, da sie befürchten, dass sonst langwierige Koalitionsverhandlungen wie in Kontinentaleuropa zur Regel würden. Um die Liberaldemokraten ins Boot zu holen, erklärten sich die Konservativen aber zu einer Volksabstimmung über eine Wahlrechtsreform bereit. Vize-Premier Nick Clegg wird das Referndum laut Guardian am Dienstag offiziell verkünden. (red/APA, derStandard.at, 2.7.2010)